Empörung über türkischen Botschafter
Spindelegger protestiert in Ankara
Der türkischen Botschafter in Wien, Kadri Ecved Tezcan, ist ins Außenamt zitiert worden. Der Diplomat hatte in einem Zeitungsinterview die österreichische Integrationspolitik heftig kritisiert. Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) hat mit seinem türkischen Amtskollegen telefoniert und ihn zu einer Klarstellung aufgefordert.
8. April 2017, 21:58
"Für uns völlig inakzeptabel"
Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) im Mittagsjournalinterview am 10.11.2010 mit
"Völlig inakzeptabel"
Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) hat bereits bei seinem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu gegen die Aussagen des türkischen Botschafters Protest eingelegt: "Ich habe ihm mitgeteilt, dass es für uns völlig inakzeptabel ist, dass ein türkischer Botschafter in Österreich Regierungsmitglieder angreift und hier eine Diktion wählt, die wir aus Ankara nicht gewöhnt sind." Außenminister Davutoglu habe klargemacht, dass das nicht die offizielle Haltung der Türkei sei. Davutoglu hatte offenbar keine Kenntnis von dem Interview und sicherte dem Außenminister zu, dass er ihn "über die weiteren Schritte informieren" wolle, berichtete der Außenminister.
"Kein Staatszwischenfall"
Spindelegger erwartet nun, dass "wir sehr bald" hören werden wie sich Davutoglu zu dieser Frage stellt. Aber wichtig sei, "dass wir aus dieser Entgleisung eines Botschafters keinen Staatszwischenfall zwischen der Türkei und Österreich machen." Er sehe keinen Anlass, "dass wir eine tiefgreifende Verstimmung zwischen der Türkei und Österreich als Folge dieses Interviews zu befürchten haben." Spindelegger sieht daher auch die mit Davutoglu für Anfang 2011 vereinbarte Wiener Konferenz über Integration von Türken in Europa nicht gefährdet.
"Kein Interview als Privatperson möglich"
Was Spindelegger an den Aussagen des Botschafters besonders stört: "Dass er sich in Fragen der Kompetenzverteilung in der Bundesregierung einmischt, dass er meint, dass ein Generalsekretär der UNO oder einer anderen internationalen Organisation Österreich verlassen sollte, und dass er auf diese Weise ein Bild von Österreich zeichnet, dass offensichtlich nicht das Bild seines Heimatlandes von Österreich ist." Ein Botschafter habe die Politik seines Landes zu vertreten und nicht seine Privatmeinung, so Spindelegger. Er habe nicht die Möglichkeit, "als Privatperson ein Interview in dieser Diktion zu geben".
Innenpolitische Reaktionen
Mittagsjournal, 10.11.2010
Faymann "empört"
Das Interview des Botschafters hat auch heftige weitere politische Reaktionen hervorgerufen, bis hinauf zu Regierungschef Werner Faymann (SPÖ). Er sei über die "unprofessionellen und inakzeptablen Aussagen" des türkischen Botschafters empört, lässt der Bundeskanzler mittels Presseaussendung wissen. Der Botschafter habe die Menschen im Gastland, demokratische Institutionen, die internationalen Organisationen in Wien und die Kanzlerin unseres Nachbarlandes beleidigt und keinen Beitrag zum Guten zusammenleben geleistet. Er werde sich laufend von Außenminister Spindelegger berichten lassen und die weitere Vorgangsweise festlegen, schreibt Faymann. Ein Interview zu dem Thema hat der Bundeskanzler nicht gegeben, unter Verweis auf Termingründe.
Fekter: "Unglaubliche Entgleisung"
Ebenso kein Interview dazu gibt es von Innenministerin Maria Fekter (ÖVP). Ihr hat der türkische Botschafter attestiert, in der falschen Partei zu sein, keine liberale und offene Geisteshaltung zu haben und - so wörtlich - in den Integrationsprozess zu intervenieren. Die Reaktion der Innenministerin: Es handle sich um eine unglaubliche Entgleisung und eine unwürdige Attacke des Botschafter, sie sei erzürnt. Man nehme aber zur Kenntnis, dass nun auch der rürkische Botschafter akzeptiert, dass vor allem innerhalb der türkischen Gemeinde Integrationsdefizite bestehen, so Fekter weiter. Studien würden den Aufholbedarf sehr deutlich belegen. 2009 hätten 68 Prozent der türkischen Migrantinnen und Migranten keine über die Pflichtschule hinausgehende Ausbildung gehabt. Und nur 54 Prozent der türkischen Migrantinnen und Migranten seien 2009 erwerbstätig gewesen. Bei den Türkinnen hätten sogar nur 39% am österreichischen Erwerbsleben teilgenommen.
"Das steht einem Botschafter nicht zu"
Sie erkenne in den Aussagen des Botschafters keinen positiven Beitrag, Integration aktiv zu gestalten, schreibt Fekter. Und weiter: Gerade weil sich 70 Prozent der türkischen Migrantinnen und Migranten derzeit stärker der Türkei als Österreich zugehörig fühlten, wäre es viel mehr an der Zeit sich hier positiv einzubringen. Und schließlich schreibt die Innenministerin: Es stehe einem Botschafter im Übrigen nicht zu, die Kompetenzaufteilung innerhalb der Österreichischen Bundesregierung zu bewerten, die das Parlament beschlossen habe.
Pröll: "Unangemessen"
Schon Dienstagabend, kurz nach Erscheinen des Botschafter-Interviews, hat Vizekanzler Josef Pröll, (ÖVP) reagiert. Pröll sagte, es sei absolut unangemessen und inakzeptabel, dass sich ein Diplomat über die Innenpolitik seines Gastlandes äußert und ein Regierungsmitglied öffentlich derart abqualifiziert.
FPÖ: "Beziehungen aussetzen"
FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky fordert in einer Aussendung, dass die diplomatischen Beziehungen Österreichs zur Türkei ausgesetzt werden, wenn sich die Türkei nicht bei Österreich entschuldigt und den jetzigen Botschafter abzieht. Die Aussagen seien ein Skandal der Sonderklasse, so die FPÖ, die Türkei streife - über die EU-Hilfe - österreichisches Geld ein und beleidige Österreich. Und, es stelle sich die Frage, wie viel sich die Bundesregierung noch bieten lasse wolle, um endlich einen Abbruch der Verhandlungen mit der Türkei über einen EU-Beitritt einzufordern. Auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache stößt ins gleiche Horn.
Service
Die Presse - Warum habt ihr 110.000 Türken eingebürgert?
BZÖ für Verhandlungsstopp
BZÖ-Obmann Bucher spricht von "Herrengehabe des Botschafters", hier zeige sich, was der EU blüht, wenn die Türkei aufgenommen wird. Er glaubt, dass dies Einfluss haben werde auf die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Mit anderen Worten: Das BZÖ will einen Stopp der Verhandlungen.
Grüne haben Verständnis
Der Chef-Außenpolitiker der Grünen, Van der Bellen, sagt, der Botschafter spreche viele offene Fragen und Probleme auf beiden Seiten an, sowohl bei den Türkischstämmigen als auch bei den österreichischen Indigenen. Er fand es ein schönes Interview. Eine diplomatische Rüge sei unangemessen, finden die Grünen.
Abendjournal, 10.11.2010
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