Die Entwicklung der Serie

Harry Potter ist erwachsen

Es ist selbst für Hollywood-Maßstäbe eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte: über fünf Milliarden US-Dollar haben die bisher sechs Film-Adaptionen der Harry-Potter-Romane dem Produktionsstudio Warner Bros. in die Kassen gespült. Damit sind die Abenteuer des wohl bekanntesten Zauberschülers der Welt nicht mehr nur die bestverkaufte Buch-Reihe, sie haben auch "Star Wars" vom Thron der erfolgreichsten Film-Reihe aller Zeiten gestoßen.

Das Geheimnis der anhaltenden Potter-Manie liegt in der Wandelbarkeit des Materials: Insgesamt vier verschiedene Regisseure haben die Welt von Hogwarts für das Kino inszeniert, alle haben sie neue Zutaten in den etablierten Zaubertrank gemixt. Jetzt läuft mit "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1" der Anfang von Potters Ende in den österreichischen Kinos.

Daniel Radcliff

Die Welt wird für die Zauberschüler unfreundlicher.

Die Guten siegen

Zarte elf Jahre alt ist der britische Schauspieler Daniel Radcliffe, als er zum ersten Mal in die Rolle des Zauberlehrlings schlüpft. Schlaksiger Körper, fahrige Bewegungen, eine Brille auf dem Nasenrücken: Harry Potter ist Vollwaise und ein Außenseiter. Seine Reise ins Zauberreich und die folgende Selbstermächtigung sind klassisches Heldenmaterial, wie geschaffen für eine weitere Hollywood-Mär vom Sieg der Guten über die Bösen.

Dementsprechend ambitionslos gestaltet sich auch die Wahl des ersten Regisseurs: Familienkino-Handwerker Chris Columbus, der Mann hinter den "Kevin"-Filmen, überträgt J. K. Rowlings Debütroman pflichtbewusst auf die Leinwand. Eine ausgesprochen barocke Angelegenheit, angefüllt mit Glanz, Zierrat und Tand: Columbus beweist die Magie in jeder Minute von "Harry Potter und der Stein der Weisen", traut sich nicht, über die Vorlage hinaus zu wachsen.

Mit derselben unterwürfigen Haltung illustriert er ein Jahr später das zweite Buch aus der Reihe "Harry Potter und die Kammer des Schreckens".

Geisterbahn der Gefühle

Die ersten Bände von Rowlings magischer Saga folgen noch einer klaren Episoden-Dramaturgie: Die Hauptkonflikte werden gelöst, die Mythologie langsam weiter entwickelt. Harry Potter und seine besten Freunde Hermine und Ron durchlaufen immer dieselben Plotpunkte in der Zauberschule Hogwarts, die von der Autorin nur zögerlich variiert werden. Bücher wie Filme sind bis zu diesem Zeitpunkt wie die Fahrt durch eine Geisterbahn, in der man schon jedes Plastikskelett und jede Plüschspinne kennt.

Das ändert sich mit dem dritten Band "Harry Potter und der Gefangene von Askaban": Das Auftauchen von Potters dubiosem Patenonkel Sirius Black und der Dementoren, die ihren Opfern das Glück aus dem Körper saugen, signalisieren schon die Richtung, in die sich die vermeintliche Kindergeschichte entwickeln wird. Der Mexikaner Alfonso Cuarón inszeniert die Film-Adaption, lässt die Hogwarts-Schüler in Kapuzenpullovern statt in Zauberumhängen Abenteuer erleben und reißt neue Gefühlswelten auf: Liebe, Eifersucht und Neid spielen ab jetzt eine Rolle, füllen die vormals so sterile Bilderbuchwelt mit Menschlichkeiten an.

Der Tod hält Einzug

Autorin Joanne K. Rowling lässt ihre Geschichten mit den Figuren reifer werden: Nach und nach wird den Lesern die Gravität der Vorgänge klar gemacht, wird angedeutet, dass die heimelige Zauberwelt aus den Angeln gehoben wird. Nachdem sie den vierten Band mit dem Tod des Hogwarts-Schülers Cedric Diggory betont ambivalent auslaufen lässt, sind die Weichen gestellt für den größten Bruch innerhalb der Serie.

Ab "Harry Potter und der Orden des Phönix" verzichtet Rowling auf abgeschlossene Aufhänger-Geschichten innerhalb der Bücher, setzt ganz auf die Wiederauferstehung des dunklen Magiers Lord Voldemort als ultimative Nemesis ihres bebrillten Helden.

Die Verfilmung des fünften Bands übernimmt der bis dahin so gut wie unbekannte Brite David Yates. Als erster entrümpelt er das etablierte Universum und vertraut auf den emotionalen Kern der Geschichte. Harry Potter ist zum Mann heran gereift, Hogwarts ist keine Märchenwelt mehr. Der Ton des Films ist düster, die Inszenierung trotz etlicher humoristischer Aufhellungen hart und ungnädig.

Keine Sicherheiten mehr

Es ist ein gänzlich neuer Harry Potter, dem man da gegenüber sitzt. Die Erinnerung an den schüchternen Buben im Hogwarts-Express ist verblasst, jetzt bereitet sich die Zauberwelt auf die alles entscheidende Schlacht vor. Bald gibt es erste Opfer zu beklagen: Im letzten Akt des sechsten Bandes stirbt mit Albus Dumbledore die Vaterfigur der Serie. Ein weiser, ausgesprochen mächtiger Magier, der den dunklen Kräften zum Opfer fällt.

Ab diesem Punkt gibt es keine Sicherheiten mehr. Die Zauberschule Hogwarts, einst ein Hort der Sicherheit und Geborgenheit, wird zur Heimstatt der Tyrannen: David Yates sitzt erneut am Regiestuhl und entwirft mit "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 1" eine bedrückende Horrorfantasie. Der Held uns seine Freunde sind flüchtendes Freiwild ohne Zuhause. Sie campieren in Wäldern, suchen verzweifelt nach einer Möglichkeit, den immer mächtiger werdenden Voldemort zu bekämpfen. Umspielt von nichts als Schatten, wie die Figuren in einem schauergotischen Roman, werden die Zauberkinder zu existenziellen Figuren, zum letzten Widerstand gegen eine faschistische Weltordnung.

Erlöserfigur in Gefahr

Harry Potter hat eine außergewöhnliche Reise hinter sich: Vom unschuldigen Buben ist er zum "Dark Knight" gereift, zu einer ambivalenten Erlöserfigur, die Gefahr läuft, alles zu verlieren, woran sie jemals geglaubt hat.

Im Sommer 2011 läuft der zweite Teil des Finales in den österreichischen Kinos an: ein Kriegsfilm, angesiedelt in der magischen Welt einer Kinderbuchreihe. Eines ist klar: Es wird Opfer geben, es wird nicht jeder überleben.