St. Pölten gedenkt NS-Opfern
Mahnmale erinnern an Arbeitslager
Zwei Kunstprojekte in Viehofen, einem Stadtteil von St. Pölten, sind als Mahnmale für NS-Zwangsarbeitslager in Auftrag gegeben worden. In einem Wettbewerb wurden die Projekte von Tatiana Lecomte und Catrin Bolt ausgewählt.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 22.11.2010
In Österreich und Deutschland wurden während des Nationalsozialismus Hunderte Zwangsarbeitslager betrieben, oftmals al Nebenlager der KZ, in denen Kriegsgefangene und verfolgte Menschen für die Nazis arbeiten mussten, gefoltert und ermordet wurden. Die Geschichte dieser Lager ist oft schlecht dokumentiert – allzu schnell wurden nach dem Krieg ihre baulichen Überreste beseitigt.
Die Erinnerung hochhalten sollen zwei Kunstprojekte, die als Mahnmale für Zwangsarbeitslager in Viehofen, einem Stadtteil von St. Pölten, in Auftrag gegeben wurden. In einem von der Stadt St. Pölten und "Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich" ausgerufenen Wettbewerb, sind die Projekte von Tatiana Lecomte und Catrin Bolt ausgewählt worden.
Am Grund des Baggersees
Ein Badesee liegt inmitten des Erholungsgebietes Viehofen, wo Menschen fahrradfahren, spazieren oder schwimmen gehen. Kaum jemand weiß, dass sich an der Stelle des Baggersees zwischen 1944 und 1945 ein Zwangsarbeitslager für ungarische Juden und Jüdinnen befand. Die Baracken wurden nach Kriegsende rasch abgerissen, in den 1960er Jahren wurde das Areal geflutet.
In einem angrenzenden Waldstück sind verfallene Betonpfeiler die einzigen baulichen Überreste eines weiteren Lagers, in dem sogenannte Ostarbeiter interniert waren. Die in Wien lebende Künstlerin Catrin Bolt macht diese Umstände sichtbar – sie hat rund um den beliebten Badeteich Orientierungstafeln aufgestellt, wie sie in Freizeitgebieten üblich sind. Verwendet hat sie dafür ein Luftbild von 1945, wo die Zwangsarbeitslager auszumachen sind.
"Ich bin gesund, es geht mir gut"
Während Catrin Bolt die Gegenwart mit der Vergangenheit überlagert, ist das zweite Projekt ein direkter Eingriff in die Lebensrealität von Menschen, die heute in St. Pölten leben. Die Künstlerin Tatiana Lecomte verschickt 20.000 Postkarten, die persönlich adressiert und in Handschrift beschriftet sind. Auf allen 20.000 Karten steht die gleiche lapidare Grußbotschaft: Ich bin gesund, es geht mir gut. Diese zynische Botschaft musste Post der Gefangenen auf Befehl der Lagerleitung enthalten.
Verschneites Massengrab
Neun verschiedene Bildmotive zeigen Tatiana Lecomtes Postkarten: idyllische Ansichten des Badesees in Viehofen, Blicke auf das verschneite Massengrab am Städtischen Friedhof St. Pölten, sowie auf die übriggebliebenen Betonpfeiler im wuchernden Gestrüpp. "Eigentlich sind diese Motive, die auf der Rückseite erklärt werden, Projektionsflächen", so Lecomte. Rund fünfzig Karten verschickt die Künstlerin täglich.
Die Reaktionen der Empfänger des mysteriösen Schreibens sind allesamt sehr heftig. Manche bedanken sich für die Aufklärung über die Vergangenheit ihrer Lebensumgebung, andere sind entsetzt. "Eine Postkarte nach Hause zu bekommen ist ein Eindringen in die Privatsphäre", meint die Künstlerin, "das ist für viele schockierend."
Neue Generation von Mahnmalen
Beide Kunstprojekte sind konzeptuelle Arbeiten, die vor allem informieren wollen – begleitet werden sie von einer Website, auf der die Geschichte der Zwangsarbeitslager und des Massengrabes genau dokumentiert sind. Dort finden sich auch Erklärungen zu den Kunstprojekten, sowie Erinnerungen von Zeitzeugen, die Catrin Bolt interviewt hat.
Zumal es kaum noch Überlebende gibt, haben sich beide Künstlerinnen zunächst einmal die Frage gestellt: An wen richtet sich ein Mahnmal? Lecomte: "Wir sind die dritte Generation – wir haben eine andere Formensprache und Geschichte, als ältere Künstler und können daher auch nicht die gleichen Mahnmale machen. Es bedarf schon anderer Formen."
"In die Vergangenheit zu blicken heißt auch, in die Zukunft zu blicken", erklärt Catrin Bolt die Notwendigkeit für Mahnmale – auch wenn es spät ist.
Versäumnis der Stadtverwaltung
Mit der Fertigstellung der beiden künstlerischen Projekte von Tatiana Lecomte und Catrin Bolt ist es in St. Pölten noch nicht getan. Auf dem Städtischen Friedhof befindet sich ein nicht gekennzeichnetes Massengrab, in dem Hunderte Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in Viehofen starben, begraben sind. Die Identitäten dieser Opfer sind den Behörden bekannt, gibt es doch detaillierte Listen.
Eine Informationstafel am zugewachsenen Massengrab aufzustellen wäre kein großer Aufwand – dennoch ist es in über sechzig Jahren nicht geschehen. Es liegt dies in der Verantwortung der Behörden, meinen Bolt und Lecomte, eine Verantwortung, die nicht auf die Kunst abgeschoben werden kann.
Erinnerungsort Flakturm
Mit einem andersartigen Mahnmal, dem ehemaligen Flak-Leitturm im Wiener Arenbergpark, beschäftigt sich das neue Buch "Erinnerungsort Flakturm". Von der Architekturhistorikerin Ute Bauer herausgegeben, ist es im Phoibos Verlag erschienen. Das Innere des Flakturms ist seit seiner Errichtung gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nahezu unverändert geblieben. Die Graffitis von Zwangsarbeitern aus ganz Europa erinnern an jene Menschen, die diese Bauten errichten mussten - und machen den Flakturm zu einem Erinnerungsort von europäischer Relevanz, wie die Buchautoren argumentieren.
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