Vertuschen und Versetzen

"Kirchliche Gewalt" mit System

Zum ersten Mal seit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gibt es einen detaillierten Bericht über Täter und Opfer. Die unabhängige "Hotline für Betroffene kirchlicher Gewalt" hat die Berichte Betroffener ausgewertet. Der Schluss: Das System der Gewalt konnte nur durch Vertuschen und Versetzen der Täter so lange funktionieren.

Morgenjournal, 24.11.2010

Immer wieder versetzt

325 Menschen haben sich seit März bei der Hotline gemeldet, die meisten aus Oberösterreich, vor allem Männer. Sie haben von sexueller, körperlicher und psychischer Gewalt berichtet und insgesamt 422 Täterinnen und Täter genannt, viele von ihnen namentlich. Für den Autor, den klinischen Psychologen Philipp Schwärzler, zieht sich eines wie ein roter Faden durch die Berichte: Beschuldigte seien einfach versetzt worden, wieder auffällig geworden, wieder versetzt worden und konnten "so immer wieder neue Kinder misshandeln und missbrauchen".

Niemand glaubt den Opfern

"Fahrlässig" habe die katholische Kirche damit auf die Vorwürfe reagiert, stellt Philipp Schwärzler fest. Viele Betroffene hätten erzählt, dass ihnen niemand geglaubt hat - die eigenen Eltern nicht und auch nicht andere Vertrauenspersonen: "Ein Mann hat mir erzählt, dass er von einem Pfarrer wirklich schwer sexuell misshandelt und missbraucht wurde. Er hat dann versucht, das der Religionslehrerin anzuvertrauen. Mit dem Resultat, dass sie ihm die Bibel auf den Kopf geschlagen hat und er gemeint hat, er solle nicht solche böse Dinge sagen."

"Republik vernachlässigt Aufsichtspflicht"

Autoritätsgläubigkeit sieht Philipp Schwärzler als nur eine der Ursachen für den Missbrauchsskandal. Weitere sind seiner Ansicht nach die grundsätzliche Haltung der katholische Kirche zur Sexualität, und dass die Republik ihre Aufsichtspflicht in kirchlichen Einrichtungen nicht wahrgenommen hat. Im Fall Kremsmünster könne er sich nicht vorstellen, dass man über so lange Zeit nichts mitbekommen habe. "Es gibt da sicherlich auch ein Gewährenlassen seitens der Republik."

Problematische Untersuchung

Auch bei der Aufklärung hat der Staat versagt, sagt Philipp Schwärzler. In keinem anderen gesellschaftlichen Bereich wäre es denkbar, dass eine in Verdacht geratene Institution selbst die Leitung einer Untersuchungskommission bestimmt, schreibt er in seinem Bericht, von dem er hofft, dass er zu mehr Transparenz beiträgt. Weiters hofft er, dass es zu einer Änderung der "Versetzungspolitik" kommt und es "nicht mehr möglich ist, dass Kinder immer wieder von denselben Tätern Gewalt erfahren müssen".

Insgesamt kommt der Bericht zum Schluss, dass Österreich den Missbrauchsskandal nach wie vor nur ungenügend aufgearbeitet hat. Eine staatliche Untersuchungskommission gibt es nach wie vor nicht.

Zersplitterte Kompetenzen

Wer in kirchlichen Institutionen Gewalt erfahren hat, kann sich derzeit an die Klasnic-Kommission wenden. Probleme gibt und gab es aber auch in Heimen und Wohngemeinschaften von Bund und Ländern. Einige Länder - Wien und Tirol etwa - haben eigene Untersuchungsstellen eingerichtet, die Problemfälle überprüfen, aber nicht alle. Gar keine Anlaufstelle gibt es für Opfer von Institutionen des Bundes, kritisiert der Präsident der Opferhilfeorganisation Weißer Ring, Udo Jesionek: "Da wird man was tun müssen."

Mittagsjournal, 24.11.2010

Wer zahlt Therapie?

Wesentlich sei, dass den Betroffenen geholfen werde, sagt Jesionek - und zwar unabhängig davon, wo die Vorfälle stattgefunden haben. Wichtig sei auch, dass die Opfer eine Therapie bekommen, so Jesionek. Die Frage sei aber vor allem, wer dies bezahlt. Demnächst soll es Gespräche mit dem Unterrichtsministerium geben, sagt Jesionek.

"Kein Handlungsbedarf"

Im Justizministerium sieht man derzeit keinen weiteren Handlungsbedarf. Nach dem Runden Tisch haben man die Opferhotline der Kinderschutzorganisation "Die Möwe" ausgebaut. Außerdem seien bei den Staatsanwaltschaften eigene Kontakt-Staatsanwälte für Opfer sexueller Gewalt nominiert worden. Diese seien nach wie vor aktiv, heißt es im Justizministerium.

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