Starbesetzung für "Ercole sul Termodonte"

Ein bislang unerhörter Vivaldi

Das lange Warten hat sich gelohnt: Vivaldis Oper "Ercole sul Termodonte" ist erstmalig - unter der Leitung von Fabio Biondi - auf CD erschienen, in einer Super-Besetzung, zu der auch Rolando Villazon gehört.

Antonio Vivaldi und Venedig, das ist fast eins. Während einer venezianischen Opern-Flaute suchte Vivaldi den Kontakt mit Rom und bescherte dem römischen Publikum in der Folge ein Arien-"best-of" unter dem Titel "Ercole sul Termodonte" - mit Riesenerfolg. Die Wiederentdeckung der Opern von Antonio Vivaldi auf der Bühne, im Konzert und auf CDs, eines der erstaunlichsten Opern-Phänomene des letzten Jahrzehnts, ist nun so weit vorangeschritten, dass auch Werke an die Reihe kommen, die nur fragmentarisch überliefert sind.

Geiger-Dirigent Fabio Biondi hat "Ercole sul Termodonte" nach wissenschaftlicher Vorarbeit und Rekonstruktion der Partitur schon vor Jahren in Venedig szenisch aufgeführt und auf Tourneen mit seinem Ensemble Europa Galante europaweit vorgestellt; auf die fällige (und mehrfach angekündigte) CD-Einspielung musste man dagegen warten und warten und warten...

Eine Opernrarität in Starbesetzung

Manchmal erzählen schon Aufnahmedaten eine interessante Geschichte: "Florenz, Teatro della Pergola, Juli 2008, Jänner 2009, Juni 2010", das bedeutet, dass zu keinem Augenblick alle Solistinnen und Solisten der nun endlich erschienenen "Ercole sul Termodonte"-Aufnahme zusammen an einem Ort waren - was bei dieser Spitzenbesetzung aber auch eine "herkulische" logistische Aufgabe gewesen wäre!

Besondere Freude bereitet die alle Melodien "blitzblank" plastisch und mit bruchlosem Prachttimbre nachzeichnende, im Rhythmischen hyperpräzise amerikanische Mezzosopranistin Joyce DiDonato. Auch die deutsche Sopranistin Diana Damrau macht, nicht ganz in ihrem angestammten Fach, musikalisch blendende Figur. Ihre Register-Kollegin Patrizia Ciofi klingt gepflegt schmerzlich, Tenor Topi Lehtipuu darf schmachten, aber auch eine "mit Pauken und Trompeten"-Arie schmettern.

Leichtfüßig-ätherisch tänzelt Countertenor Philippe Jaroussky durch die anspruchsvollen Koloraturen, sehr maskulin tönt die ("r"-rollende) Mezzosopranistin Romina Basso. Von Anfang an fest mit dem 1723 uraufgeführten Werk und Fabio Biondis vorbildlicher Einstudierung verwachsen ist Vivica Genaux, die hier ihr charakteristisches Mezzo-Timbre, in der Tiefe immer ein wenig à la Marilyn Horne, ausbreitet. Abenteuerliche Präzision, Feuer, Überzeugtheit von der Sache bei allen!

Vivica Genaux

"Arietten" statt Arien zu erotischem Quiproquo

Dabei ist "Ercole sul Termodonte" kein Stück mit virtuosen Prunkarien zu aufrauschendem Orchester: Viele Arien dauern weniger als zwei Minuten, die meisten kaum länger als drei; das erotische Quiproquo zwischen Herkules und den Amazonen inszeniert Vivaldi als musikalisches Kammerspiel, bei dem Stimm-Virtuosität zwar ihren Platz hat, aber als Virtuosität en miniature.

Interessant, im Beiheft zu lesen, wie die Ur-Besetzung ausgesehen hat: Keine Frauen auf der Bühne damals in Rom, ausschließlich Kastraten und Tenöre! Mit päpstlicher "Sittenstrenge" begann es, von regelmäßigem Sittenverfall berichten die Quellen.

Rolando Villazon ist wieder da

A propos: Ercole! Er war der Aufnahme-Nachzügler, seinetwegen dauerte das Warten auf die "Ercole sul Termodonte"-CDs derart lange: Rolando Villazon, im Gefolge seiner noch vor der Stimmkrise aufgenommenen Händel-Arienplatte im barocken Repertoire, wo er sich künftig mehr Aufgaben erhofft. Villazon ist wieder "da", wie ja auch die neue "Mexico"-CD mit Schlagern aus Villazons Heimat (unlängst auf Tournee auch in München und Wien vorgestellt) bewies.

Allerdings ist der Herkules in der Vivaldi-Oper vom Stimmcharakter her zeittypisch als "Baritenore" gedacht, als Tenorrolle mit tiefer Tessitura, und Villazon, so baritonal sein Timbre auch wirken mag, hat in dieser Phase seiner Karriere gerade von der tieferen Mittellage abwärts Mühe, die Töne selbstverständlich klingen zu lassen.

Rolando Villazon

Fremdkörper unter Spezialisten

Dagegen ist Villazons Koloraturtechnik in diesem auf "Originalklang" getrimmten Umfeld zwar unorthodox, doch intakt - und überhaupt erstaunlich für einen Sänger, in dessen Rollenverzeichnis der "belcanto" kaum eine Rolle spielt. Ob der "Ausdrucks"-Zwang, der Villazon beseelt und ein permanentes Singen unter Ausrufungszeichen auslöst, allein vom überschäumenden Temperament herrührt oder auch ein wenig dem Überspielen von Stimmführungs-Unsicherheiten (und - Unsauberkeiten) dienen soll, ist schwer zu entscheiden. So bleibt Villazon einerseits ein Fremdkörper innerhalb der von "Alte-Musik"-Spezialistinnen und -Spezialisten dominierten "Ercole"-Besetzung, verleiht ihr zugleich aber eine interessante Farbe.

Service

Antonio Vivaldi, "Ercole sul Termodonte" Vivica Genaux, Joyce DiDonato, Patrizia Ciofi, Diana Damrau, Rolando Villazon, Roma Basso, Philippe Jaroussky, Europa Galante, Leitung: Fabio Biondi, Virgin Classics

Rolando Villazon: "Mexico!", Bolivar Soloists, DG

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