Laborratten mit Zivilisationskrankheiten

Dicke Laborratten verfälschen Testergebnisse

Ratten und Mäuse sind die mit Abstand beliebtesten und am meisten verwendeten Labortiere. Ein Forscherteam aus den USA warnt nun davor, dass die meisten Versuchsratten und -mäuse nicht so gesund sind, wie sie eigentlich sein sollten.

Eine gesunde Ratte, die sich ihres Lebens in einem städtischen Kanalsystem erfreut, wiegt etwa ein halbes Kilo. Die durchschnittliche Laborratte hingegen bringt fast doppelt so viel auf die Waage und wäre - mit einem Körperfettanteil von 30-40 Prozent - fraglos ein Kandidat für die Weight Watchers. Ähnlich beleibt sind Labormäuse.

Mark Mattson, Neuroforscher am National Institute on Aging, einem staatlichen Forschungszentrum bei Washington, beschreibt ihre Lebensbedingungen: "Wir halten üblicherweise zwischen drei und fünf Mäuse in einem Käfig. Dieser misst etwa 30 mal 40 Zentimeter. Futter steht ihnen rund um die Uhr zur Verfügung, doch Auslauf haben sie kaum. An sich sind die Tiere gesund, aber sie essen zu viel und bewegen sich zu wenig."

Gesund bleiben sie bei einem solchen Lebensstil jedoch nicht lange. Träge, übergewichtige Ratten und Mäuse leiden unter den gleichen Beschwerden, die ein bewegungsarmer Lebensstil gepaart mit zu viel Kalorien bei Menschen bewirkt: nämlich Bluthochdruck, Diabetes und in der Folge eine geringere Lebenserwartung. Mark Mattson meint daher: Solche Tiere seien zwar ein gutes Modell für unsportliche, übergewichtige Menschen, doch nicht notwendigerweise für alle.

Ernährung und Krankheitsprozesse

Wie sehr Ernährung die Körperchemie und in der Folge Krankheitsprozesse beeinflusst, hat sich in den letzten Jahren aus den Tierstudien zu Kalorienrestriktion, also drastischen Einschränken von Energieaufnahme gezeigt. Mark Mattsons Kollegin, Bronwen Martin teilte Ratten in mehrere Gruppen: Tiere in der ersten Gruppe konnten fressen, so viel sie wollten; die Kalorienzufuhr der zweiten Gruppe wurde um 20 Prozent und die der dritten um 40 Prozente reduziert. Gruppe vier durfte nach Herzenslust fressen, doch musste dazwischen tageweise fasten.

"Es zeigen sich zwischen den Gruppen klare Unterschiede bei den Stoffwechselhormonen Glucose und Insulin sowie beim Cholesterin, . Die Tiere unterscheiden sich auch kognitiv: Die Fähigkeit, sich den Weg durch ein Labyrinth zu merken, hängt von der Ernährung ab. Das trifft auf die Weibchen noch stärker zu als die Männchen. Das heißt: Eine bestimmte Kalorienzufuhr bewirkt bei den Tieren ein ganz bestimmtes Stoffwechselprofil", sagt Martin.

Übergewicht verändert den Krankheitsverlauf

Von entzündlichen Prozessen bis zur Krebstumorbildung oder Immunschwäche: Krankheit verläuft bei übergewichtigen Labortieren anders als bei schlanken. Mark Mattson beschreibt genmanipulierte Mäuse mit Alzheimer:

"Wenn wir bei diesen Mäusen die Kalorienzufuhr reduzieren, wird der Krankheitsprozess im Gehirn gebremst. Die Plaque lagert sich langsamer auf den Nervenzellen ab. Die geistige Beeinträchtigung verläuft auch langsamer. Doch wenn man diese Mäuse auf eine fettreiche, eine so genannte McDonalds-Diät setzt, beschleunigen sich diese Prozesse, und die Tiere leiden viel früher an Demenz. Die Energiezufuhr spielt also eine Rolle. Doch auch Bewegung ist wichtig. Denn wenn sich die Mäuse, die in einem fort fressen können, täglich bewegen, hat das positive Auswirkungen auf das Gehirn. Auch bei den Tieren mit Alzheimer", sagt Mark Mattson.

Aus all diesen Indizien ergibt sich für Mark Mattson: Der Krankheitsverlauf hängt von Stoffwechsel- und Fitnesszustand ab. Und dann wäre es nicht verwunderlich, wenn es auch Unterschiede in der Wirkung von Medikamenten gäbe.

Rundlich und bequem oder rank und schlank

Am National Institute on Aging bekommen Ratten und Mäuse nun ein Fitnessrad:

"Viele Tiere benutzen das Rad. Freilich nicht alle, und wir achten darauf, welche sich gerne bewegen und welche nicht. Aber allgemein haben Nagetiere gerne Spielzeug und ein Rad im Käfig", sagt Mark Mattson

Wenn man Mäusen einen größeren Käfig und ein Rad gibt, laufen die besonders sportlichen häppchenweise sogar bis zu sechs Kilometer pro Tag. Die Forscher wollen nicht alle Nager zu kalorienarmer Kost und Sport verdonnern. Doch idealerweise sollten Krankheiten und Medikamente an zwei Gruppen von Tieren studiert werden: an
den Rundlichen und Bequemen sowie an den Ranken und Schlanken.