Susanne Gregor

ZSOLNAY VERLAG/HERIBERT CORN

Menschenbilder

"Schreiben, um zu verstehen." Die Schriftstellerin Susanne Gregor

Als Neunjährige kam Susanne Gregor aus der Slowakei nach Österreich - heute zählt sie zu den renommierten Stimmen der heimischen Literatur. Mit dem Blick von innen und außen erzählt sie in präziser Sprache und psychologischer Tiefe Geschichten zwischen zwei Ländern. Ihr neuer Roman "Halbe Leben" greift das brisante Thema der 24-Stunden-Pflege auf.

Sprache als Schlüssel zur Heimat

„Es war ganz lange ein Verlust, bevor es ein Ankommen war“, sagt Susanne Gregor über ihre Übersiedlung nach Österreich. Neun Jahre war sie alt, als sie mit ihrer Familie aus der Slowakei ausreiste, und sie musste eine Erfahrung machen, die viele Neuankömmlinge kennen: „Ich habe Österreich nicht als neugierig empfunden, als wir angekommen sind.“ Eine Mitschülerin hat ihr verschiedene Dinge gezeigt und dabei deren deutschen Namen ausgesprochen. Als Susanne Gregor dann den slowakischen nannte, war die Klassenkollegin daran nicht interessiert. Das erste Referat in Geografie über die Slowakei hat dann etwas in Susanne Gregor geheilt: Die anderen mussten hören, was sie schon immer über ihr Land sagen wollte. Für kurz fand einmal dieser Austausch statt, den sie sich so sehr erhofft hatte.

Der Schlüssel zu diesem Ankommen war die deutsche Sprache. „Und wo ich dann Deutsch gesprochen habe, hatte ich das Gefühl: Jetzt habe ich das, was ihr auch habt; aber ich habe noch etwas anderes, was ihr nicht habt“, erzählt sie.

Literatur mit doppelter Perspektive

An der Universität Salzburg hat sie die deutsche Sprache dann studiert, und heute ist sie eine bekannte Schriftstellerin. Dabei kann sie die eigenen Erfahrungen als ein spezifisches Kapital nutzen und sowohl Österreich als auch die Slowakei aus der Innenperspektive wie mit dem Blick einer Fremden betrachten. Schon in ihren vergangenen beiden Romanen Das letzte rote Jahr und Wir werden fliegen hat sie diese Fähigkeit faszinierend unter Beweis gestellt. Auch ihr 2025 erschienener Roman Halbe Leben erzählt eine Geschichte, die in beiden Ländern spielt, und greift ein Thema von hoher Brisanz auf: die 24-Stunden-Pflege.

„Jede Wohlstandsgesellschaft ist zu einem gewissen Grad selbstverliebt und schaut nicht über den eigenen Tellerrand hinaus.“

Das Schreiben ist für Susanne Gregor ein langsames Herantasten an ein Thema; und ein Versuch zu verstehen. Dafür bietet ihr auch die eigene Biografie viel Stoff: die slowakische Kindheit im Plattenbau und alles, was damit zu tun hat; und dann die Erfahrung in Österreich, „dass die Leute hier anders funktionieren“. Hatte sie am Anfang in Österreich das Gefühl, oft nicht ganz verstanden zu werden, musste sie diese Erfahrung später auch in der Slowakei machen. Erst jetzt, da sie seit 20 Jahren in Wien lebt, fühlt sich jede Fahrt über die Grenze wie eine Fahrt nach Hause an – sowohl, wenn sie nach Österreich als auch wenn sie in die Slowakei unterwegs ist.

Das ermöglicht ihr auch einen kritischen Blick auf beide Gesellschaften. „Was für ein narzisstisches Land, voller selbstverliebter Menschen, die nur um sich selbst kreisen“, lässt sie die Krankenpflegerin Paulína im Roman Halbe Leben sagen. Bei jeder Lesung führte dieser Satz zu Diskussionen. Aber Susanne Gregor ist sich sicher: „Jede Wohlstandsgesellschaft ist zu einem gewissen Grad selbstverliebt und schaut nicht über den eigenen Tellerrand hinaus.“

Wie Geschichten verbinden

In ihren Büchern versteht es Susanne Gregor, Mikro-Szenen des Alltags und Hintergründe auszuleuchten, wie es keiner Reportage gelingt. Mit ihrer psychologisch überzeugenden Figurenzeichnung und einer präzisen Sprache sind ihr viel beachtete Roman gelungen. Nicht weniger spannend ist es, ihr zuzuhören, wie sie vom eigenen Leben erzählt. Dazu gehört auch eine intensive Erfahrung mit Literatur: „Aus der Geschichte der Slowakei habe ich aus erster Hand gesehen, welche Kraft Geschichten haben und wie wir uns mit dem identifizieren, was wir einander erzählen.“