Musikgeschichte als Graphic Novel

Baby's in Black

In seinem neuen Comic-Buch erzählt Arne Bellstorf nicht nur die tragische Liebesgeschichte zwischen der Hamburger Fotografin Astrid Kirchherr und dem vergessenen fünften Beatle Stuart Sutcliff. Der Comic-Künstler porträtiert auch das verruchte Hamburg des Jahres 1960 und die zwei zeitgleichen Subkulturen der Halbstarken und der Existenzialisten.

Arne Bellstorf

Über den Reiz der Graphic Novel

"Ich würd' schon sagen, sie war wirklich cool". Arne Bellstorf beschreibt die Protagonistin seines neuen Comic-Buches: die junge Astrid Kirchherr. 1960 ist die Hamburgerin 22 Jahre alt, sie hat gerade ihr Kunststudium abgeschlossen und arbeitet in der Hafenstadt bei einem Fotografen. Und sie gehört einer Jugendszene an, die man "Exis" nennt.

Exis und Halbstarke

Deren Vorbild sind die Existenzialisten in Frankreich. Astrid und ihre Freunde tragen schwarze Kleidung und schwarze Schals, die fast bis zum Boden reichen. Sie geben sich extrem cool und gleichzeitig intellektuell. Die meisten Exis sind bürgerliche Mittelschicht-Kinder und gehen aufs Gymnasium oder studieren Kunst. Sie hängen in schicken Jazz-Kneipen und Espresso-Bars herum, wo sie französische Chansons oder Jazz hören und über französische Literatur reden, über Sartre und Camus.

Arne Bellstorf beschreibt in seinem Comic-Roman "Baby's in Black" diese ausgehend von den 1950er Jahren entstandene Subkultur und erzählt gleichzeitig die Liebesgeschichte zwischen der Exi Astrid Kirchherr und dem Rock'n'Roller und ehemaligen Beatles-Mitglied Stuart Sutcliffe. In stundenlangen Gesprächen mit Astrid Kirchherr hat er die Geschichte von der heute über 70-Jährigen erfahren, die eigentlich als öffentlichkeitsscheu gilt.

Protagonist einer lebendigen Szene

Der Comic-Künstler ist ein ruhiger und nachdenklicher Typ. Im Gegensatz zu Astrid Kirchherr oder den Beatles stilisiert sich Arne Bellstorf nicht in dramatischem Schwarz, sondern trägt eine unauffällige braune Jacke. Vor zehn Jahren ist er von der 8.000-Einwohner-Stadt Dannenberg im äußersten Osten Niedersachsens nach Hamburg gezogen, das neben Berlin als Comic-Hauptstadt Deutschlands gilt. Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften, an der die bekannte deutsche Comic-Künstlerin Anke Feuchtenberger unterrichtet, hat in den vergangenen Jahren mehrere aufstrebende Comic-Autoren hervorgebracht: Sascha Hommer, Line Hoven oder eben Arne Bellstorf. Aber auch außerhalb dieser Hochschule hat die Stadt eine lebendige Comic-Szene.

Comic-Bücher wie "Baby's in Black" von Arne Bellstorf werden unter dem Begriff Graphic Novel zusammengefasst: gezeichnete Geschichten für Erwachsene. Dennoch interessiert sich der Arne Bellstorf vor allem für das Thema Erwachsenwerden. Schon in seinem vielbesprochenen Erstlings-Comic-Roman "acht, neun, zehn" geht es um einen 16-Jährigen zwischen suburbaner Tristesse und pubertärer Langeweile. Und auch sein zweites Comic-Album "Baby’s in Black" handelt im Grunde genommen vom Jung-Sein.

An "Baby’s in Black" hat Arne Bellstorf drei Jahre lang gearbeitet. Daneben veröffentlicht er aber auch kürzere Comics in Sammelbändern, macht Illustrationsjobs und zeichnet regelmäßig Comicstrips für die Berliner Tageszeitung "Tagesspiegel". Warum er sich einem Genre verschrieben hat, das viele für trivial halten? "Na, der Comic ist einfach ein ganz eigenständiges Medium, was du in der Text-Bild-Kombination einfach nirgendwo anders hast", so Bellstorf.

Gezeichneter film noir

Für "Baby's in Black" hat er eine ganz eigene Zeichentechnik entwickelt. Die Bilder sind in Schwarz-Weiß gehalten und die Figuren haben zwar klare Konturen, aber die mit Aquarellbuntstift schlampig schraffierten Flächen lassen die Zeichnungen skizzenhaft aussehen. "Baby's in Black" ist wie ein Film Noir in Comicform. Und Astrid Kirchherr erinnert mit ihrer Bubikopf-Frisur an Jean Seberg in Jean-Luc Godards Gangsterfilm und Liebesdrama "Au bout de souffle". Arne Bellstorf wollte mit seinen Zeichnungen das Lebensgefühl der Exis vermitteln.

Auf Seite 22 sitzen Astrid – schwarze Jacke, Zigarette in der Hand – und ihr Ex-Freund Klaus Voormann – dunkles, in die Stirn fallendes Haar, schwarzer Rollkragen-Pullover – rauchend über einen Tisch gebeugt in Astrids Zimmer. Es ist mitten in der Nacht irgendwann im Herbst 1960. Klaus erzählt Astrid aufgeregt und fasziniert von seinem nächtlichen Streifzug in ein heruntergekommenes Kellerlokal auf der Reeperbahn und von der Band, die er dort gesehen hat. Nicht gerade ein place tob e für ein Hamburger Bürgerkind.

Auftritt: The Beatles

Die Musiker auf der Bühne des Hamburger Kellerclubs sind fünf Jungs aus Liverpool, die später als die Beatles bekannt werden. Über mehrere Wochen hinweg spielen sie täglich bis zu acht Stunden und für 30 Deutsche Mark pro Nacht in einem Hamburger Kellerclub und covern bekannte Rock'n'Roll-Nummern. Der Bassist, der aussieht wie James Dean, heißt Stuart Sutcliffe. Wenig später wird er sich in Astrid verlieben – und sie sich in ihn. Bis Astrid die Beatles aber zum ersten Mal zu Gesicht bekommt, dauert es noch eine Weile.

Astrid Kirchner

Über ihre Liebe zu Stuart Sutcliff in einem Interview mit dem Nation Public Radio in den USA.

Stuart Sutcliffe verlässt die Beatles, noch bevor sie berühmt werden. Er bleibt bei Astrid in Hamburg und richtet sich im Haus von Astrids Mutter ein Atelier ein, wo er oft nächtelang malt. Im April 1962 stirbt er plötzlich, vermutlich an einer Gehirnblutung. Er war erst 21 Jahre alt. Im Comic stellt Arne Bellstorf den Tod von Stuart sehr unspektakulär dar, leise und durch Schweigen. Die Sprechblasen bleiben leer, Astrid durchlebt den Tod Stuarts wie in Trance.

Ob die Beatles in ihrem song "Baby's in Black" mit der schwarz gekleideten Witwe tatsächlich Astrid Kirchherr meinten, ist bei Beatles-Kennern umstritten. Jedenfalls war Astrid über Stuarts Tod hinaus mit den Beatles befreundet, vor allem mit George Harrison und John Lennon, Stuarts bestem Freund. Immerhin war es Astrid, die die ersten professionellen Fotos von den Beatles geschossen hat. Und sie war es auch, die Stuart den Pilzkopf und die schwarzen Bühnen-Outfits verpasst hat, was die anderen Beatles dann kopiert haben.

Service

Bellstorf - Baby's in Black