Weder chauvinistisch noch konservativ

Puccinis Blick auf die Konkurrenz

Er liebte Wagner - und tolerierte Schönberg, so lange Schönberg nicht zu sehr nach Wagner klang. Franz Lehár wollte er von der Oper abbringen, für "Elektra" waren seine Nerven zu schwach. Giacomo Puccini und seine Wertungen von Musik anderer Komponisten: da greift kein Klischee.

Große Überraschung: Giacomo Puccini war Wagnerianer! Als er an "Turandot", seiner letzten Oper, schrieb, nahm er die Partitur von "Tristan und Isolde" zu Hand, aber nur kurz: "Weg mit dieser Musik! Wir sind Mandolinenspieler, Dilettanten: wehe, wenn wir uns hinreißen lassen! Diese gewaltige Musik vernichtet uns und lässt uns nie mehr etwas zustande bringen!"

Hatte Puccini in seinen frühen Opern "Le Villi" und vor allem "Manon Lescaut" (die "tristanesken" Wendungen im Orchesterintermezzo!) nicht schon Wagner Tribut gezollt? Auch bei den "Meistersingern von Nürnberg" und beim "Parsifal" fühlte er sich zu Hause. Nie wurde Puccini müde, "Parsifal" zu hören - die Klangfarben und die berauschend mystische Atmosphäre hatten es ihm angetan.

Anlässlich eines Wien-Aufenthalts 1923 beschloss Puccini, bei jeder "Parsifal"-Aufführung, die er im "Operntheater", der heutigen Staatsoper, besuchte, nur einen Aufzug lang zu bleiben, das aber mit größter Konzentration. Ergebnis: Kein Abend, an dem er nicht doch bis zum Ende ausharrte.

Das Ideal Ludwig van Beethoven

Giacomo Puccini verehrte Giuseppe Verdi, in dessen "Otello"- und "Falstaff"-Zeit sein eigener Aufstieg fällt - und Ludwig van Beethoven: das 2/4-Takt-Allegretto aus der Siebenten Symphonie, über dessen rechtes Tempo im 20. Jahrhundert so viel debattiert wurde, und die Mittelsätze der "Neunten" (nicht die "Ode an die Freude"!) waren seine Favoriten.

Puccini: "Beethoven ist die Musik!" Entgegen den Wünschen der stets auf Perpetuierung des Bekannten abzielenden Opernfans (Thomas Alwa Edison: "Menschen sterben und Regierungen wechseln, aber die Melodien der "Bohème" werden ewig bestehen") wollte Puccini auf keinen Fall stehen bleiben, sich wiederholen, künstlerisch stagnieren. "Sich erneuern oder sterben? ... Ich habe mir geschworen, (...) es immer noch besser zu machen auf dem Weg, den ich eingeschlagen habe, und sicher nicht zurückzubleiben." Beethoven konnte dabei Vorbild sein.

Schreckgespenst klangliche "Franziskanerkutte"

Schon "La Bohème", und mehr noch "Il tabarro", "Der Mantel", das Eröffnungsstück des "Trittico", zeigen, dass Giacomo Puccini bereit war, vom französischen Impressionismus zu übernehmen, was sich in seinen Stil integrieren ließ. Anlässlich eines Paris-Aufenthalts im Herbst 1906 lernte er Claude Debussys "Pelléas et Mélisande" kennen, ein Werk, das seiner Einschätzung nach "außergewöhnliche harmonische Qualitäten besitzt und eine transparente instrumentale Struktur; wirklich interessant, aber nie bewegend".

Denn Debussys Musik, so Puccini, "erhebt sich nie, ist immer von einer düsteren Farbe und einförmig wie eine Franziskanerkutte. Es ist das Thema, das interessiert, und die Musik nach sich zieht." Und: "(...) das Theater muss bunt sein, dann hat es Erfolg. Die Einförmigkeit ist zerstörerisch."

Schönberg: ja, aber

Giacomo Puccinis Meinungen sind nicht immer vorhersehbar, waren oft auch Stimmungen unterworfen, der "mestizia toscana", der toskanischen Schwermut vor allem, die Puccinis Weltsicht färbte. Einförmigkeit, eine Musik, die hinter dem Sujet zurückbleibt - das durfte bei seiner nächsten Oper nicht passieren. Die jeweils nächste Oper ... war immer und ewig ein Problem für Puccini. Immer auf der Suche nach Stoffen, die das Zeug hatten, ihn glücklich und genial zu machen, hat Giacomo Puccini so viele Librettisten verschlissen wie kein anderer Komponist - und auch sich selbst gequält wie kaum ein anderer.

Ganz interessant, was Giacomo Puccini von der ernstlich neuen Musik seiner Zeit hielt. Strawinskys "Sacre du printemps" war für ihn "letztlich verrücktes Zeug", trotzdem aber drängte er einen jungen Komponistenkollegen, die Aufführung unbedingt zu besuchen. Dem "Pierrot Lunaire" von Arnold Schönberg reiste er sogar nach, um ihn zu hören. "Wer sagt uns, dass Schönberg nicht der Ausgangspunkt für ein weit in der Zukunft liegendes Ziel ist?" Puccini 1924. Dagegen nervten ihn die dem Publikum ja viel lieberen "Gurre-Lieder" von Schönberg - er wäre nicht ins Konzert gekommen, um Wagner zu hören, ließ er Alma Mahler wissen, 1920 in Wien. Und ging in der Pause.

Puccini und Lehár

Giacomo Puccini und Franz Lehár - gehören zusammen, oder doch nicht? Arnold Schönberg, der sich nach Puccinis Tod "stolz" zeigte, "sein Interesse gefunden zu haben", konnte Puccini einmal für größer als Verdi halten, und ein andermal doch auf den Lehárismen bei Puccini herumreiten.

1922 traf Puccini Lehár, der von tragischer Oper träumte, in Wien, und riet ihm, nur ja nicht sein ureigenstes Gebiet, die reine Operette (Marke "Lustige Witwe") zu verlassen zugunsten der opernhaften Bühnentragik, nach der Lehár sich sehnte - eine in den Wind gesprochene Mahnung. (Lehár hatte bereits Kurs in Richtung "Giuditta" genommen und ließ sich von Puccinis schlechten "La Rondine"/"Die Schwalbe"-Erfahrungen nicht abhalten.)

Straussische "Logarithmen"

Dass Giacomo Puccini mit Franz Lehár in freundschaftlicher Beziehung stand, wurde von Kritikern gerne als Argument gegen den Italiener eingesetzt: Kein seufzender Sekund-Vorhalt bei Puccini, hinter dem nicht die Operette lauerte! Kannte Giacomo Puccini aber den wesentlich jüngeren Erich Wolfgang Korngold, der dem Lehárismus auch nicht abgeneigt war? Jedenfalls kannte Korngold Puccini, das zeigen "Violanta", "Die tote Stadt", "Die Kathrin" deutlich.

Das erwachsen gewordene Wunderkind war gerade dabei, Karriere zu machen, als Franz Schalk, an der Wiener Oper Kodirektor von Richard Strauss, Puccini die Partitur der neuen Strauss'schen "Frau ohne Schatten" zur Inspektion vorlegte. Der Italiener warf einen Blick darauf und legte den Band beiseite mit dem lakonischen Kommentar: "Das sind Logarithmen". Puccini, Korngold und Strauss hatten die Star-Interpretinnen der Ära gemeinsam: eine Maria Jeritza, eine Lotte Lehmann ... aber bei Strauss endete Puccinis Musikverständnis für die Moderne seiner Ära: "Elektra! Entsetzlich! Salome geht noch - aber Elektra ist zu viel!"