Abschied vom Pariser Bouffes du Nord

Theater-Avantgardist Peter Brook

Der Altmeister der internationalen Theater-Avantgarde, der 85-jährige Peter Brook, nimmt Abschied von seinem legendären Theater, den Pariser Bouffes du Nord. Am Silvesterabend findet die letzte der seit Monaten ausverkauften Vorstellungen von Brooks neuester Inszenierung statt: eine eigenwillige, stark reduzierte "Zauberflöte".

Kultur aktuell, 30.12.2010

Es fehlen die drei Damen, die drei Knaben und der Chor, ein Klavier als Begleitung reicht; nicht "Die Zauberflöte", sondern "eine Zauberflöte" hat sich Peter Brook zum Abschied selbst geschenkt, als Singspiel, 100 Minuten lang, wie üblich im praktisch leeren Raum auf der ebenerdigen Bühne.

Die Theaterkritikerin der Wochenzeitung "Telerama": "Er hat das Werk gereinigt bis auf das Wesentliche, wie er es vor 30 Jahren schon mit Bizets 'Carmen' gemacht hatte, und später mit 'Pelleas und Melisande'. Diese jetzt mit der Hacke vorgenommene Adaption des Librettos vermittelt ein wenig den Eindruck, es sei eine 'Zauberflöte' für Anfänger. Man hat es eher mit einem Liederabend zu tun als mit einer Oper."

Ein Ort mit Seele

Peter Brook im Theater Bouffes du Nord bei Probenarbeiten in seiner unnachahmlich ruhigen, überzeugenden Art, höflich und zurückhaltend, einer, der ein Ohr und ein Auge für alles zu haben scheint. Er hat vor über 35 Jahren diesen halb verfallenen und so belassenen Ort entdeckt, ein früheres Revuetheater, das auch etwas von einem Kirchenschiff hat, dessen graue Steinwände halb verbrannt sind, bröckeln, und immer wieder notdürftig übermalt wurden.

Hier hat er sein einmaliges Theaterlabor, das Centre de Recherche et de Creation Theatrale gegründet und seine Vision eines sprachunabhängigen Theaters, mit minimaler Kulisse und ohne optische Effekte entwickelt.

"Ich hatte damals schon seit Jahren mit Micheline Rozans gearbeitet", erinnert sich Peter Brook, "und eines Tages kam sie und sagte: Es gibt einen ganz außergewöhnlichen Ort, den du unbedingt sehen musst. Wir sind hierher gekommen, alles war voller Staub, aber wir haben gesehen, dass es etwas gab, was das Kostbarste ist, auch wenn es schwer zu erklären ist und doch sehr konkret: Es war ein Ort, der eine Seele hat."

Peter Brook hat hier mit seinen Schauspielern und mit seinen Texten aus allen Kontinenten im wahrsten Sinne des Wortes Welttheater produziert: das Sanskrit-Epos "Mahabharata", die "Konferenz der Vögel" nach den Gedichten eines persischen Autors des 12. Jahrhunderts, und immer wieder spielte Afrika, das Brook seit den 1970er Jahren häufig bereist hat, eine Rolle.

"Die einzige Daseinsberechtigung des Theaters liegt für mich darin, dass alles, was im Theater passiert, in der Gegenwart passiert. Theater kann nur in der Gegenwart sein", so Brook.

Internationale Stücke

Letztes Jahr noch hat Peter Brook ein Stück geboten, das auf einen Text seines aus Mali stammenden Freundes und Schriftstellers Amadou Hampaté Ba zurückgeht, wo etwa Themen wie Kolonialismus oder Islam eine Rolle spielen.

"Mir schien es sehr wichtig, einem überwiegend nicht muslimisches Publikum wieder einen offenen und respektvollen Blick auf den Islam zu ermöglichen, wo heute doch alles getan wird, um sich gegenseitig abzuschotten - was ich für gefährlich und ungesund halte", sagt Brook.

Kaum schickt sich der engagierte Altmeister jetzt an, seinen mythischen Theatersaal der Bouffes du Nord auf leisen Sohlen zu verlassen, will der französische Staat seinen Nachfolgern - einem Theatermanager und einem erfahrenen Produzenten von Musikspektakeln - bereits die Mittel kürzen: von 1,3 Millionen auf 700.000 Euro.