Casanova-Biografie von Ingo Hermann

Der Mann hinter der Maske

"Er lacht wenig, aber er bringt die anderen zum Lachen. Er ist ein Born des Wissens, aber er zitiert so oft Homer und Horaz, das einem davon übel wird. Er liebt, er begehrt alles, und wenn er alles gehabt hat, kann er auf alles verzichten." So beschreibt Fürst Charles Joseph de Ligne, ein Freund der späten Jahre, Giacomo Casanova.

Wie der Fürst war Casanova ein Verfechter des Ancien Régime, also ein Gegner der Französischen Revolution. Und beide waren Vertreter der Libertinage, also Befürworter der freien Liebe und des freien Gedankens. Im Unterschied zum Fürsten ist Casanova wahrscheinlich das Produkt einer Liaison zwischen seiner Mutter, einer berühmten Schauspielerin, und einem venezianischen Patrizier. Als Casanova, dieses illegitime Kind eines Adeligen, 1760 von Papst Clemens XIII. zum "Ritter vom Goldenen Sporn" ernannt wurde, ergriff er die Gelegenheit und nannte sich ab nun Chevalier de Seingalt. Dass es der Adel und das Großbürgertum im 18. Jahrhundert mit der Moral nicht so genau nahmen, wusste ja Casanova wohl am besten.

Mehr Porträt als Biografie

Wie viele Kinder Casanova gezeugt hat, wird ebenso wenig nachzuzählen sein, wie die Zahl der Frauen, mit denen er geschlafen hat.

Diesen lapidaren, aber doch wahren Satz findet man in Ingo Hermanns neuer Casanova-Biografie. Bestünde aber sein Buch aus lauter derart allgemein bekannten Informationen, so böte diese Publikation wohl kaum interessanten Lesestoff. Zu Leben und Werk Giacomo Casanovas sind in den letzten Jahren einige Werke erschienen, meist sind sie wissenschaftlicher Natur. Ingo Hermann möchte etwas anderes leisten.

Dieses Buch über Giacomo Casanova, den ungezügelten Mann und arbeitswütigen Schriftsteller, ist eher ein Porträt als eine Biografie.

Verwirrend dabei ist nur, dass der Untertitel von Hermanns Casanova-Buch lautet: "Die Biographie". Für Ingo Hermann ist Casanova "Der Mann hinter der Maske."

Mann mit vielen Masken

In der Tat ist der Mensch Giacomo Casanova schwer zu fassen, weil er Zeit seines Lebens viele Rollen spielte, also viele Masken trug: Den meisten seiner Zeitgenossen war er als Liebhaber per excellence bekannt und als derjenige, der aus den unbezwingbaren Bleikammern von Venedig geflohen war. Den Mächtigen seiner Zeit hatte er sich als Berater und Diplomat angedient, er war Freimaurer und Katholik gleichzeitig gewesen, kurze Zeit sogar Spitzel der venezianischen Inquisition. Casanova war ein Mann der Wissenschaft, unermüdlicher Briefeschreiber und Autor unzähliger Werke. Zur Weltliteratur zählt man heute Casanovas Memoiren "Geschichte meines Lebens".

Wenn Ingo Hermann sein Buch "Casanova. Der Mann hinter der Maske" nennt, so ist das eigentlich ein Widerspruch. Den maskenlosen Casanova gab es eigentlich nicht. Denn der wohlhabende und gebildete Mensch des 18. Jahrhunderts hatte gar keine Lust, sich auf eine einzige Identität zu beschränken. Man spielte seine Rollen auf dem großen Welttheater, die Kunst der Maskierung war dabei wahrscheinlich die einzig ehrliche Form von Identität.

Gesucht: die ebenbürtige Partnerin

Zu diesem Bühnenspiel gehörte auch die Liebe. Ein siebenstündiges erotisches Rendezvous darf man nicht als Sonderform des Hochleistungssports missverstehen. Dabei wurde getrunken, gegessen, gescherzt und vor allem Konversation getrieben - bevor es zur Sache ging. Und selbst dann fielen die Masken nie! Davon hätte man in Hermanns Casanova-Porträt gern mehr erfahren.

Andererseits thematisiert der Autor einen wichtigen Punkt in Casanovas Leben und Denken. Gerade beim ausschweifenden Liebesleben suchte Casanova die ebenbürtige Partnerin. Je kultivierter, je klüger, je schöner eine Dame war, umso stärker erwachte in ihm das Liebesfeuer. Eine einfältige, aber sexuell anziehende Frau hat Casanova nur en passant interessiert. Ingo Hermann meint daher:

In Wirklichkeit war er auch, vielleicht sogar vor allem ein Mann, den man heute mit Fug und Recht einen Feministen nennen würde, einen veritablen Feministen.

Das ist sicher übertrieben, hat aber einen wahren Kern. Denn Casanova - und mit ihm alle Libertins seiner Zeit! - suchten gleichwertige Partnerinnen, die das komplexe Liebespiel und Maskentragen überhaupt erst ermöglichten.

80.000 Kilometer auf Reisen

Facetten- und durchaus aufschlussreich wird Ingo Hermanns Casanova-Porträt dann, wenn er ins Detail geht. Als Mann von Welt - nicht selten auch der Halb-Welt! - reiste Casanova unermüdlich quer durch Europa: Rom, Neapel, Madrid, London, Paris, Amsterdam, Berlin, Köln, Stuttgart, Wien, Prag, Warschau, Sankt Petersburg. Ingo Hermann hat nachgerechnet.

Folgt man den topographischen Angaben der Memoiren, legte er insgesamt mindestens 55.620 Kilometer zurück. Rechnet man die Strecken hinzu, die er zu Schiff bewältigte, so kommt man auf 65.520 Kilometer Lebensreise. In der Zeit nach 1774 - mit diesem Jahr schließt Casanova seine Memoiren ab - legt er bis zu seinem Tod noch einmal 13.600 Kilometer zurück.

Das heißt, dass Casanova in rund 50 Jahren fast 80.000 Kilometer hinter sich gebracht hat, also 1.600 Kilometer jährlich auf Reisen war. Das ist für das 18. Jahrhundert sicherlich eine Rekordleistung. Schön ist auch, wenn Hermann beschreibt, was Casanova auf seinen Reisen bei sich hatte: etwa eine Schachtel mit Spielzeug und eine mit zwei Ananas; Pantoffeln und eine Nachtmütze. Und für alle Fälle:

Vier Pistolen, zwei mit kurzem und zwei mit langem Lauf, und viel Schokolade und Bouillonwürfel - die beiden Modeneuheiten der Aufklärungszeit.

Ingo Hermanns Casanova-Porträt ist für diejenigen Leser, die Giacomo Casanova nur wegen seines rastlosen Liebeslebens kennen, eine gelungene Einführung. Für echte Casanovisten wird im Buch viel Bekanntes neu aufgerollt. Doch manches Detail überrascht dann doch und zeigt, dass Ingo Hermann beim Schreiben seiner Casanova-Biografie selbst zum Casanovisten geworden ist.

Service

Ingo Hermann, "Casanova. Der Mann hinter der Maske. Die Biographie", Propyläen Verlag

Propyläen - Ingo Hermann