Peter Turrini im Interview
Der "freie Flug der Dichterei"
Am 8. Jänner wird am Stadttheater Klagenfurt das Schauspiel "Silvester" des Kärntner Dramatikers Peter Turrini uraufgeführt. Es ist ein Auftragswerk anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums des Theaters, das sich um Einsamkeit und Sehnsucht dreht.
8. April 2017, 21:58
Michael Walcher/APA: Wie sind Sie auf die Idee mit dem "Klienten" Herbert gekommen, auf den ersten Blick wirkt das einigermaßen zynisch?
Peter Turrini: Der Zynismus liegt natürlich nicht auf meiner Seite, sondern bei denen, die solche Begriffe für geistig Behinderte erfinden. Früher hießen diese Menschen Behinderte, dann Teiltalentierte und jetzt Klienten. Das drückt eine fatale Methode dieser Gesellschaft aus. Man ändert zwar nichts an den Verhältnissen, aber man macht die Bezeichnungen immer netter und harmloser. So entsteht Fortschritt und Liberalität in der Sprache, die Wirklichkeit ist etwas anderes.
Ist das Thema Missbrauch, das sich ja durch das ganze Stück zieht, für Sie aufgrund der aktuellen Debatte (Kirche, Heime, etc.) wichtig oder habe Sie sich schon früher damit befasst?
Mein Stück segelt nicht im Fahrwasser der aktuellen Debatte und das aus zwei Gründen: Erstens habe ich dieses Stück mit dem Josef Köpplinger schon vor drei Jahren geplant und zweitens hetze ich als Theaterdichter nicht den aktuellsten Ereignissen nach. In diesem Stück geht es auch nicht um sexuellen Missbrauch - der würde vorliegen, wenn die Protagonisten einander Gewalt antun würden -, in meinem Stück geht es um Sehnsucht, natürlich auch um sexuelle.
Hat die Figur des Leo irgendein reales Vorbild oder ist er quasi prototypisch angelegt?
Ich brauch für meine Figuren immer reale Vorbilder, nicht nur eines, sondern mehrere. Ich beobachte Menschen in der Realität sehr genau, bevor ich den Mut des Schreibens fasse. Meine Vorfindungen werden allerdings nicht als Kopien auf die Bühne gebracht, aus ihnen werden Erfindungen. Aber je stärker ich in der Wirklichkeit verankert bin, desto besser funktioniert bei mir der freie Flug der Dichterei.
Warum haben Sie die Handlung in einen Keller verlegt, sind die Protagonisten so tief gesunken oder die Moral unserer Gesellschaft?
Die Hauptfigur, der ehemalige Maurer Leo und nunmehrige Pensionist, lebt im Keller und dies ist keine Metapher, sondern das traurige Ergebnis seiner Biografie: Er hat das Haus gebaut, mitten im Hausbau hat ihn die Frau mit den zwei Kindern verlassen, er hat den Rohbau nicht fertiggestellt und ist in den Keller gezogen. Seitdem verweigert er die Welt und lässt sie nur noch in Form von Fernsehprogrammen an sich heran.
Die Protagonisten wirken eher sprachlos, war es schwer, die Sprache der Dialoge so stark zu reduzieren; Ihre Figuren sind üblicherweise viel wortgewaltiger?
Ich bin nicht der Meinung, dass die Figuren sprachlos sind. Sie sind vielmehr Gefangene ihrer jeweiligen Einsamkeit und haben in dieser Einsamkeit eine eigene Form von Sprache entwickelt. Leo, der wie gesagt im Keller lebt, spricht wie ein Mensch, der keine Antworten mehr erwartet, also fast nur noch mit sich selbst. Herbert, der behinderte Junge, lebt in einer ganz eigenen Sprachwelt, weil seine Erfahrungen andere sind. Und die Operettensängerin ist schon gar nicht sprachlos. Die schwätzt ständig daher. Aber auch ihr Schwätzen, ihr Sprachüberfluss, ist Ausdruck ihrer Einsamkeit.
Ist es eigentlich schwer, ein Auftragsstück zu schreiben, hatten Sie die Klagenfurter Bühne dabei im Kopf oder entsteht das Stück völlig unabhängig vom Ort der Uraufführung?
Letzteres. Meine Vorstellungen von der Bühne entstehen in meinem Kopf. Da hilft mir der Grundriss irgendeines Theaters gar nichts. Meine erste Begegnung mit der Realität der Bühne findet mit dem Modell des Bühnenbildes statt. In diesem Falle von einer äußerst talentierten und jungen Bühnenbildnerin. Sie hat mir mit ihren Ideen gezeigt, wie man meine Fantasie im Kopf in Bauten auf der Bühne übersetzen kann.
Werden wir in Klagenfurt wieder einmal eine Koproduktion Turrini/Hassler auf der Bühne sehen wie "Jedem das Seine" vor drei Jahren oder war das ein einmaliges Ereignis?
Das hoffe ich nicht, dass es ein einmaliges Ereignis war. Wenn die Silke Hassler will, würde ich gerne mit ihr wieder ein Stück schreiben. Im Augenblick steckt sie in ihren Projekten und ich in meinen. Aber das wird sich ja hoffentlich wieder ändern.
Waren Sie zu den Proben schon im Stadttheater oder lassen Sie sich diesmal überraschen?
Ich würde ja gerne bis zur Premiere den Coolen spielen, aber das schaffe ich nicht. Ich bin vor Ur- und Erstaufführungen viel zu nervös, also traktiere ich meine Regisseure mit ständigen Telefonaten und in der letzten Phase auch mit Probenbesuchen. Später lasse ich meine literarischen Kinder in die Welt ziehen, sofern sie den Weg auf andere Bühnen schaffen. Aber wie gesagt, bei Uraufführungen bin ich wie ein Vater vor dem Kreißsaal, gehe nervös auf und ab und frage jeden Herauskommenden, was da drinnen vorgeht.
Sind Sie der Ansicht, dass das Stadttheater mit dem künftigen Sparkurs der FPK-Regierung sein derzeitiges Niveau halten wird können?
Nachdem diese Regierung unvorstellbare Geldmengen verschleudert und versenkt hat, spart sie natürlich bei der Kunst, welche die Rechten ohnehin nicht mögen, außer es handelt sich um die Kunst der Schuhplattelei. Wenn es schon weniger Geld gibt, dann sollte man weniger teure Opernproduktionen machen und mehr Schauspieluraufführungen. Und außerdem sollte man eine Frau als Intendantin berufen. Eine in hundert Jahren, dieser Prozentsatz muss doch auch in Kärnten möglich sein.
Glauben Sie daran, dass das leidige Thema der zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten tatsächlich gelöst wird, oder werden die Kärntner sich weiterhin "zu Deppen Europas machen" (Zitat aus Turrinis Ansprache bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde an der Universität Klagenfurt, Anm.)?
Ich wünsche es mir sehr, denn diese immer gleiche Debatte mit den immer gleichen Argumenten von gestern und vorgestern ist ja wirklich deppert.