Die Grenzen des Vorhersehbaren

Tanz mit dem Glück

Den meisten fällt es schwer zu akzeptieren, dass der Zufall einen Großteil unseres Lebens bestimmt. Der Versuch, das Unkontrollierte zu kontrollieren und das Unvorhersehbare vorherzusehen, ist eine Selbsttäuschung mit fatalen Folgen, meinen Spyros Makridakis, Robin Hogarth & Anil Gaba.

Was sagt die Statistik?

Offiziell starben bei den Terroranschlägen vom 11. September 2.974 Menschen. Manche Statistiker meinen, die Zahl wäre wesentlich höher anzusetzen. Das hat nichts mit Verschwörungstheorien zu tun, sondern damit, dass viele Amerikaner nach den Anschlägen vom September 2001 auf das Flugzeug verzichteten und vermehrt das eigene Auto nutzten.

Keine weise Entscheidung, wie sich herausstellen sollte. Denn von 2002 bis 2004 kamen in den Vereinigten Staaten 30 Flugreisende ums Leben. Im gleichen Zeitraum aber starben auf den Straßen der USA über 128.000 Menschen. Fast fünf Prozent mehr als im langjährigen Durchschnitt.

Die Statistiker folgen nun daraus, dass ungefähr 5.000 Menschen im Straßenverkehr zusätzlich ums Leben kamen, weil sie aus Angst vor neuerlichen Terroranschlägen auf das Flugzeug verzichteten. Von 45.000 Schwer- und 325.000 zusätzlichen Leichtverletzten im Straßenverkehr ganz zu schweigen.

Die Macht der "Kontrollillusion"

Die Erklärung für dieses Verhalten sei einfach, so die Autoren von "Tanz mit dem Glück". Denn obwohl den Autofahrern durchaus bewusst ist, dass sie sehr viele wichtige Faktoren nicht beeinflussen können – den Zustand der Straßen, den Zustand der entgegenkommenden Autos, den Zustand der anderen Fahrer – fühlen sich die Lenker im eigenen Auto sicherer als im Flugzeug. Weil sie der sogenannten "Kontrollillusion" anhängen.

Sie meinen, ihr Schicksal selbst bestimmen zu können, wenn sie selbst am Steuer sitzen. Diese Kontrollillusion machen die Autoren überall in unserem modernen Leben aus.

Wir leiden unter einer Kontrollillusion, die uns glauben lässt, die Zukunft sei vorhersehbarer und weniger ungewiss, als sie in Wirklichkeit ist. Noch fataler ist der Glaube, wir könnten Zufallsereignisse durch unser eigenes Handeln beeinflussen.

Aberglaube und Expertenwissen

Aberglaube zum Beispiel ist nichts anderes als eine Abart der Kontrollillusion. Wer den 13. Stock meidet, am Freitag den 13. sein Haus nicht verlässt, und dadurch hofft, das Unglück meiden zu können, der glaubt, durch sein eigenes Handeln das Schicksal gnädig stimmen zu können. Was nicht besonders klug sein mag, aber dem menschlichen Trieb, das Zufällige aus dem eigenen Leben ausschließen zu wollen, durchaus entspricht.

Dieser Trieb führt uns aber oft auf eine falsche Spur. Wir fahren lieber mit dem Auto anstatt zu fliegen - obwohl das gefährlicher ist. Und wir fragen lieber Experten, welche Aktien wir kaufen sollen, anstatt selbst welche auszusuchen. Weil wir glauben, irgendjemand müsse doch wissen, was die Zukunft den Märkten bringe.

Am Aktienmarkt gibt es zwei Arten von Investoren. Die, die nicht wissen, wie sich der Markt entwickeln wird, und die, die nicht wissen, dass sie nicht wissen, wie sich der Markt entwickeln wird.

Da zitieren die Autoren den kanadischen Ökonom John Kenneth Galbraith. Untersuchungen zeigen, dass ein Affe, der Dartspfeile wirft, und so einzelne Aktien wählt, genauso erfolgreich ist, wie ein Aktienexperte. Denn es gilt: Über die Zukunft lässt sich nichts Definitives sagen.

Und selbst die oft zitierte Weisheit, dass auf lange Sicht gesehen Aktien immer das beste Investment sind, stimmt nur bedingt. So musste zum Beispiel ein Investor, der 1966 Aktien kaufte, die den Dow Jones Index nachzeichnen, bis 1982 warten, bis er endlich Gewinn machte.

Und wer 1929 kaufte, musste gar 25 Jahre warten, um wieder ins Plus zu kommen. Und wann jene Investoren, die bei Höchststand des japanischen Nikkei Indexes - am 29. Dezember 1989 - kauften, Gewinne sehen werden, steht in den Sternen. Denn fast 21 Jahre später haben die Kurse noch immer nicht einmal ein Drittel des damaligen Höchststandes erreicht.

Akzeptanz der Ungewissheit?

Egal welche Bereiche man sich ansieht – ob Glücksspiel, Aktienmärkte, oder die eigene Gesundheit. Der Zufall bestimmt einen Großteil unseres Lebens. Was bedeutet das für den Einzelnen? Einerseits, sich nicht der Illusion hingeben, man könnte alles bestimmen. Andererseits aber auch nicht nichts tun.

"Es ist schon komisch: je mehr ich übe, desto mehr Glück habe ich“, sagt der Golfprofi Arnold Palmer. Und der Wissenschaftler Louis Pasteur stellt bereits im 19. Jahrhundert fest: "Der Zufall begünstigt den vorbereiteten Geist."

Den Autoren geht es darum, zu zeigen, wie man Entscheidungen treffen kann, wenn exakte Prognosen nicht möglich sind. Wesentlich sei es, die Ungewissheit zu akzeptieren und die Grenzen des Vorhersehbaren zu erkennen. So sei man besser gewappnet, den Launen des Zufalls nicht zum Opfer zu fallen.

Das Buch ist gut geschrieben und liest sich durchaus spannend. Und es ist - wenn auch ungewollt - eine Illustration, wie der Zufall auch das Geschick eines Textes bestimmt. Denn fertig gestellt wurde das Buch im April 2008. Also knapp ein halbes Jahr vor dem Zusammenbruch der Investment Bank Lehman Brothers. Das ändert zwar nichts an der Grundaussage des Buches, lässt aber jenen wichtigen Teil, der sich mit der Ökonomie beschäftigt, ordentlich veraltet erscheinen. Und das ist ein wenig schade.

Service

Spyros Makridakis, Robin Hogarth und Anil Gaba, "Tanz mit dem Glück", aus dem Englischen übersetzt von Hendrik Lorenzen, Tolkemitt Verlag

Haffmans und Tolkemitt - Tanz mit dem Glück