Lake Louise in den Rocky Mountains

"Wir haben hier ein schönes Leben"

"Europäer realisieren gar nicht wie riesig das Land ist. Kanada hat dieselbe Größe wie Europa. Die westkanadischen Gebirge sind wahrscheinlich zehn Mal so groß wie die ganzen europäischen Alpen." Der Bergsteiger und Autor Chic Scott bringt es auf den Punkt: Allein der Westen Kanadas nimmt eine unvorstellbar große Fläche des nordamerikanischen Kontinents ein.

Dementsprechende Dimensionen weisen daher auch die vielen Nationalparks des Landes auf. Einer der landschaftlich schönsten ist der Banff–Nationalpark. Er ist geprägt von imposanten Berggipfeln, Wildwasserläufen, riesigen Wäldern und milchblauen Gletscherseen, sowie von einer bemerkenswerten Fauna. Tagelang kann man ihn durchstreifen, ohne jemandem (außer vielleicht einem der Schwarz- oder Grizzlybären) zu begegnen, und doch verfügt er über eine unglaublich gute touristische Infrastruktur.

Station des Weltcup-Skizirkus'

Eine wichtige Anlaufstelle im Park und Ausgangspunkt für Wanderungen und Ausflüge sind die gleichnamige Kleinstadt Banff am River Bow gelegen, und etwa 60 Kilometer von Banff weiter in Richtung Nordwesten befindet sich das wesentlich kleinere Lake Louise. Es besteht bloß aus einer kleinen Mall und einigen Hotels, allerdings macht alljährlich der Weltcup-Schizirkus hier Station - relativ früh im Jahr, denn die Region gilt als schneesicher.

Die Nationalparkregeln werden von den Betreibern der Hotels wie des Post Hotels, das von zwei Schweizer Einwanderern betrieben wird, penibel eingehalten. Man ist sich des wertvollen Gutes, das die Natur darstellt, bewusst. Auch im Fairmont Chateau Lake Louise, das direkt am Namen gebenden Lake Louise am Fuße des Victoria Glaciers liegt. Dieses Schloss-Hotel ist eines der beliebtesten Fotomotive der Welt. Es wurde einst gebaut, um die Ingenieure und Arbeiter der Canadian Pacific Railway Company zu beherbergen. Heute ist es ein multikultureller Ort. Einerseits durch die internationalen Gäste und andererseits durch die vielen Immigranten, die hier einen Arbeitsplatz gefunden haben. Das Hotel als Spiegel der Gesellschaft.

See der kleinen Fische

Die Concierge des Fairmont Lake Louise, Jessie Wang, zum Beispiel stammt aus China und kam mit ihrer Familie vor 15 Jahren nach Kanada, zunächst nach Vancouver Island, wo sie ihre Ausbildung abschloss, und später dann in die Rocky Mountains nach Lake Louise in das imperiale Hotel am berühmten gleichnamigen Gletschersee, der von den Bergen Beehive und Mount Fairweather eingerahmt ist.

Der Lake Louise ist eines der bekanntesten Gewässer der Region, das nach der Prinzessin Louise von Großbritannien benannt wurde. Bei den First Nations hieß das Gewässer "der See der kleine Fische", da in dem kalten Wasser die Tiere nicht besonders groß werden. Die Einwanderer verpassten dem See dann recht bald den Namen "Lake Louise" zu Ehren der britischen Prinzessin.

Vom Café aus, in dem zuweilen auch ein Klavierspieler tätig ist, hat man den besten Blick auf den je nach Sonneneinstrahlung zwischen türkis und dunkelblau changierenden See, bis zu dem hinunter der Gletscher reicht. Mit einer Haltestelle, an der Waren ein- und ausgeladen wurden, und einer kleinen Hütte zur Unterbringung von einigen wenigen Wanderern hat alles am Ende des 19. Jahrhunderts begonnen, erzählt Jessie Wang, die sich bestens mit der Geschichte des Ortes vertraut gemacht hat.

Von der Berghütte zum Schlosshotel

Die Canadian Pazific Railway errichtete zunächst ein Chalet, das mehrere Male niederbrannte. Schließlich wurde 1899 ein größeres Gebäude in Auftrag gegeben und der Architekt W. S. Painter fügte 1912/1913 jenen Flügel an, der den großen Brand von 1924 überstand und somit der älteste Teil des heutigen Gebäudes des Fairmint Chateau Lake Louise ist. Damals war das Gebäude etwa ein Viertel so groß wie heute, wurde aber ständig vergrößert. Bergsteigen wurde immer beliebter, aus der Schweiz mussten Bergführer angeheuert werden, um die Leute sicher durch die Berge zu bringen, denn in Kanada hatte man damals keine große Erfahrung mit dem Bergsteigen.

Bis 1980 war Lake Louise nur eine Sommerdestination. 1987 wurde im Fairmont Lake Louise ein neuer Flügel mit 400 beheizbaren Räumen errichtet, die auch wintertauglich waren. Rund 1.500 Gäste können in dem Schloss-artigen Gebäude auf einer Seehöhe von 1700 Metern beherbergt und von 800 Hotelangestellten umsorgt werden. Jessie Wang ist sichtlich stolz auf diese Statistik der Superlativen und genießt das Leben in den Bergen.

Nur zwei Jahreszeiten

In den Bergen zu leben bedeutet im Wesentlich zwei Jahreszeiten: Sommer und Winter. Der Winter ist definitiv die längere Jahreszeit. Er beginnt im Oktober, von Mitte November bis Ende April bleibt der Schnee liegen. Langsam taut es dann im Mai, aber in den Bergen kann man immer noch Schneefelder sehen.

Von Sommer kann man eigentlich nur im Juli, August und September sprechen, denn selbst im Juni ist es meist noch recht kühl. Also mehr als vier Monate Sommer gibt es nicht! Das stört Jessie Wang nicht, denn sie ist durchaus gebirgstauglich und genießt die kühlen Temperaturen im Sommer, die 25 Grad kaum übersteigen. Trotz dieser extremen Bedingungen, hat Jessie Wang nie bereut, von China nach Kanada emigriert zu sein. Sie fühlt sich von der kanadischen Gesellschaft durchaus willkommen geheißen.

Von den Schweizer in die kanadischen Berge

Der in Zürich und Winterthur aufgewachsene André Schwarz ist vor mehr als 40 Jahren aus Abenteuerlust nach Kanada gekommen. Schon in der Schweiz verbrachte er die meiste Zeit beim Schilaufen im Gebirge. Aus dem kleinen, etwas heruntergekommenen Hotel, das er Ende der 1970er Jahren übernahm, ist ein elegantes Chalet der Spitzenklasse geworden: mit Haute Cuisine im Restaurant, einer Pianobar, mit offenem Kamin und weichen Teppichen in den Suiten und mit einem für Kanada bemerkenswerten Weinkeller, den André Schwarz mit berechtigtem Stolz präsentiert.

Jedes Frühjahr veranstaltet es den sogenannten "Wine summit", ein dreitägiges Gipfeltreffen, im Zuge dessen Weine aus der ganzen Welt verkostet werden. Der Hotelier und sein Bruder George Schwarz leben mehr als 250 Kilometer von der nächsten richtigen Großstadt, Calgary, entfernt. Das hindert sie nicht daran, ein Hotel zu führen, in dem sie sich selbst wohl fühlen würden. Dazu gehören für den Schweizer einfach bestimmte Qualitäts-Standards. Allerdings empfindet er die grandiose Lage inmitten des Banff-Nationalparks auch zuweilen als Last, denn das Grundstück, auf dem sich sein Hotel befindet, ist nur gepachtet, für 42 Jahre.

Außerdem müssen viele Regeln eingehalten werden, aber im Grunde ist André Schwarz höchst zufrieden mit dieser für europäische Vorstellungen etwas ungewöhnlichen Konstellation von einem Nationalpark, der auch wirtschaftlich genutzt wird: "Ich möchte sagen, die Vorschriften des Nationalparks haben uns auch vor unseren ambitiösen Vorstellungen gerettet oder zurückgehalten. Wenn Sie hierher kommen, sind sie sehr nah an der Natur!"

Nah an der Natur

Die Langlaufschier kann man gleich beim Haus anschnallen und es gibt ein Loipennetz von etwa 250 Kilometern Länge, zum Schihang fährt ein kostenloser Shuttlebus vom Post-Hotel alle halben Stunden. Lake Louise gilt als schneesicher, deshalb startet hier alljährlich der Weltcup-Zirkus. Sollte es einmal nicht rechtzeitig schneien, ist es meist schon ab dem 15. Oktober kalt genug, um selbst Schnee zu machen - allerdings nur, wenn der Fluss ausreichend Wasser führt.

André Schwarz ist passionierter Schiläufer und als solcher präsentiert er sich auch auf der Webseite des Post-Hotels. Er war lange Zeit Vorsitzender des kanadischen Schilehrer-Verbandes und Coach des Interski Teams. Er gilt als Erneuerer des kanadischen Schilaufs und hat unzählige Schilehrer mit einer modernen Technik vertraut gemacht. Heute noch fährt er jede freie Minute zu den beiden Hausbergen hinauf. Manchmal kommen auch Hotelgäste in den Genuss einer Privatstunde des Skipioniers. Aber auch im Sommer kann André Schwarz der Region viel abgewinnen. Der Herbst 2009 war besonders schön, resümiert André Schwarz: viel Sonne hat die Lärchenwälder richtig zum Leuchten gebracht. Der schönste Herbst seit 40 Jahren. Ja, 40 Jahre in den Rocky Mountains sind eine lange Zeit, wenn man - wie André Schwarz - ja eigentlich nur für einen Winter bleiben wollte.

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