Moderne Baukunst in Ahmedabad

Le Corbusier in Indien

Le Corbusier, der schweizerisch-französische Architekt, Stadtplaner, Designer und Maler, war 1951 vom ersten indischen Premierminister Jawaharlal Nehru eingeladen worden, die Modellstadt Chandigarh im Punjab zu entwerfen und zu bauen. Dieses Vorhaben begeisterte auch den damaligen Bürgermeister von Ahmdabad. So bat er Le Corbusier, auch in seiner Stadt tätig zu werden.

Wegen seiner vielen Tuchfabriken wurde Ahmdabad damals das "Liverpool Indiens" genannt - und selbst heute dominieren die hohen Schornsteine der Fabriken noch immer die Skyline der sechstgrößten indischen Metropole.

Für den Textilbaron Shodan und seine Familie entwarf Le Corbusier Anfang der 1950er Jahre eine Stadtvilla: Ein klar strukturierter Betonbau mit großen Fensterflächen inmitten eines gepflegten Gartens. Gegen ein bescheidenes Trinkgeld gewährt der Hausdiener den Zutritt zu dem Privatgrundstück.

Als erstes von insgesamt fünf Projekten, die der Visionär in Ahmedabad verwirklichte, entstand im Auftrag der schwerreichen Textilbarone der Hauptsitz der Baumwollindustrie von Gujarat. Der funktionale Sichtbetonbau wurde 1954 fertig gestellt und bildet einen krassen Gegensatz zu der britischen Kolonialarchitektur. In den vergangenen Jahrzehnten ist das Gebäude zur Pilgerstätte für Architekturbegeisterte aus aller Welt geworden und dient auch als willkommene Filmkulisse.

Die gute Seele des Hauses und gewissermaßen der Nachlassverwalter von Le Corbusiers architektonischem Erbe ist Abhinava Shukla, der langjährige und bereits pensionierte Generalsekretär der Textile Mills' Association.

"Die Schönheit des Gebäudes beflügelt", sagt Shukla. "Wenn ich in meinem Büro sitze, dann fühle ich mich jedes Mal von neuem in meiner Kreativität bestärkt. Gleichzeitig gerate ich in den Zustand romantischer Verzückung. Das sind die verborgenen Kräfte, die für mich in dem Haus stecken. Das reale und einzig wirkliche Problem ist die Erhaltung des Gebäudes. Denn nicht nur Menschen gehen hier ein und aus, sondern es wird auch von Vögeln heimgesucht, sowie von streunenden Vierbeinern. Aber so ist das Leben: Das ist einerseits ein Problem, andererseits hält es dich mit der Natur verbunden."

Einen der architektonischen Höhepunkte in Ahmedabad bildet der Universitätscampus des Indian Institute of Management. Der in Estland geborene, amerikanische Architekt Louis Kahn hat es in den 1960er Jahren entworfen.

Louis Kahn war ein Jahrzehnt nach Le Corbusier als Vertreter der zweiten Generation ausländischer Architekten nach Indien eingeladen worden - zu einer Zeit, als noch immer die meisten einflussreichen Architekten aus dem Ausland stammten oder dort ihr Studium absolvierten. Kahn verwendete einheimische Ziegel als Sichtmauerwerk in Kombination mit dem gezielten Einsatz von Stahlbeton. Diese Verknüpfung von Ziegel und Beton brachte einen neuen Impuls für die Architektur in Indien, sowohl hinsichtlich des Materials als auch der monumentalen Formgebung seiner Gebäude.

"Monumentalität in der Architektur ist eine geistige Qualität, sie vermittelt die Empfindung von Ewigkeit." Dieser Satz von Louis Kahn steht für die künstlerischen Visionen des Architekten.

Die diagonale Ausrichtung aller Gebäude am Campus ermöglicht den ungehinderten Durchzug des kühlenden Windes quer durch die Anlage. Charakteristische Stilelemente von Louis Kahn sind weite Rundbögen aus Ziegeln, die am unteren Ende von Betonelementen begrenzt sind. Dies war im Kern eine statische Überlegung, um der nach unten drückenden Schwerkraft eine ebensolche Konstruktion für die nach oben wirkenden Kräfte bei einem Erdbeben entgegenzusetzen. Diese Konstruktion bewährte sich auch bei dem massiven Erdbeben im Jahr 2001. Während viele Neubauten in Ahmedabad kollabierten, blieben jene von Le Corbusier und Louis Kahn unversehrt.

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