Ein Versuch, die Romantik zu retten
Die Liebe neu erfinden
Jeder kennt sie, jeder will sie, jeder erhofft sich so vieles von ihr: Aber auch wenn jeder zu glauben weiß, was die Liebe ist und wie sie sich anzufühlen hat, so ist es doch schwer, eine allgemeingültige Definition dafür zu finden. Der Philosoph Wilhelm Schmid versucht es trotzdem.
8. April 2017, 21:58
Liebe ist die endlose Deutung dessen, was als Liebe erfahren wird, oder kürzer, Liebe ist, was als Liebe gedeutet wird.
Liebe kann also alles und nichts sein, und wenn ich sage, dass dies oder jenes Liebe ist, dann ist es das für mich auch. Dass sich ein solcher für alle Interpretationen offener Begriff im Laufe der Zeit ändert, verwundert nicht.
Von Transzendenz zur Körperlichkeit
In der Antike hebt Platon die Liebe auf eine geistige Ebene. Dadurch sollen die Enttäuschungen, die sich zwangsläufig einstellen, wenn die äußeren Reize vergehen, vermieden werden. Die Schönheit des Geistigen solle über die Schönheit des Körperlichen triumphieren. Deshalb sprechen wir auch heute noch von der platonischen Liebe.
Diese Idee, Liebe habe rein geistig zu sein, wird im frühen Christentum weiter verfolgt. Nur richtet sich die Liebe nun auf eine jenseitige Instanz aus. Anstelle des sinnlichen Eros tritt die geistige Agape. Die körperliche Liebe darf nur im Rahmen der Ehe zur Fortpflanzung vollzogen werden. Im Mittelalter sei die Dominanz der transzendenten Ebene schon nicht mehr durchsetzbar, so Wilhelm Schmid. Das Bedürfnis nach weltlicher Erfahrung der Liebe zumindest auf seelisch-geistiger Ebene erwacht von neuem. Der Minnesang kommt auf - die Frau wird verherrlicht.
Die ritterliche Aufwertung der Frau wird im Christentum mit der Verehrung Marias nachvollzogen. Christliche Mystikerinnen, denen der Mund von der Erfahrung Gottes übergeht, lassen Unterschiede zum Liebesakt kaum erkennen. "Herr, minne mich gewaltig, und minne mich oft und lange!", bittet Mechthild von Magdeburg: "Je gewaltiger Du mich minnest, umso schöner werde ich."
Comeback der Vergeistigung
In der Renaissance wird Sinnlichkeit großgeschrieben. Die Frauen beanspruchen Gleichberechtigung im Liebesleben und Bisexualität und Prostitution sind nichts Außergewöhnliches. In der frühen Neuzeit kommt es laut Schmid zu einem Zurückschneiden der bunten Triebe der Liebe und zur neuerlichen Vergeistigung. Darüber hinaus wird die angebliche Himmelsmacht mehr und mehr unter dem Aspekt der Nützlichkeit betrachtet. Die Liebe wird zum Geschäft.
Zum nüchternen Kalkül gehören materielle Versorgung und soziale Absicherung, ökonomischer Erfolg und gesellschaftlicher Aufstieg, zu deren Zweck eine formale Liebe arrangiert und in Form eines Ehebündnisses gegossen wird.
Als Antwort auf dieses ökonomische Kalkül wird in der Frühromantik die Liebe als treibende Kraft, die sich gegen alle Konventionen stellt, neu definiert. Und heute? Die Moderne hat die Liebe befreit. Moralische Einschränkungen sind in der westlichen Welt kaum mehr gegeben. Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden.
Das klingt toll, aber wenn es keine äußeren Grenzen mehr gibt, dann werden die inneren umso deutlicher. Und so ist das dominante Gegensatzpaar heute, Freiheit versus Bindung. Ist es besser, alleine zu sein und der angeblichen Selbstverwirklichung zu frönen? Auf niemanden Rücksicht nehmen, Tun und Lassen was man will? Oder soll man doch besser eine Beziehung eingehen? Die Annehmlichkeiten des Alleinseins aufgeben, dafür aber emotional abgesichert sein? Und hat man dann Ja gesagt zum Anderen, steht man schon vor dem nächsten Problem: Das des Machtgefüges und des Machtgefälles innerhalb der Beziehung.
Mit traumwandlerischer Sicherheit finden die Liebenden Wege, sich wechselseitig wehzutun, und entwickeln nicht nur eine Gespür dafür, wo ihre ergiebigste Energiequelle sprudelt, der Hot Spot, der himmlisch beflügelt, sondern auch, wo der wunde Punkt des jeweils anderen zu finden ist, der Soft Spot, an dem die Möglichkeiten der Verletzung am größten sind.
Umfassende Beschreibung
Mit seinem Buch "Die Liebe neu erfinden" liefert Wilhelm Schmid eine Zusammenfassung der verschiedensten Aspekte der Liebe. Von der "seelischen Kunst des Liebens" weiß er ebenso zu berichten wie über "Statik und Dynamik von Beziehungen". Den Themenkomplex der "Spannung zwischen Freiheit und Bindung" handelt er ebenso ab, wie die Frage "ob sich Männer neu erfinden müssen".
Anders als der Titel verspricht, wird die Liebe hier zwar nicht neu erfunden, dafür aber umfassend beschrieben. Mitutern zu umfassend. Denn auch wenn Schmid über lange Strecken hinweg klug argumentiert so ist der Text im Laufe der knapp 400 Seiten doch recht redundant. Und leider bewahrheitet sich hier mitunter wieder die alte Weisheit: Liebe zu erleben ist großartig; wer aber über sie spricht, singt oder schreibt, verliert sich aber allzu oft in Gemeinplätzen.
Service
Wilhelm Schmid, "Die Liebe neu erfinden. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen", Suhrkamp Verlag
Suhrkamp - Die Liebe neu erfinden