Thomas Bernhard und die Fotografie

Ablehnung und Inszenierung

"Ich habe noch auf keiner Fotografie einen natürlich und das heißt, einen wahren und wirklichen Menschen gesehen, wie ich noch auf keiner Fotografie eine wahre und wirkliche Natur gesehen habe. Die Fotografie ist das größte Unglück des zwanzigsten Jahrhunderts."

Das schreibt Thomas Bernhard gewohnt apodiktisch in seinem letzten großen Prosawerk "Auslöschung. Ein Zerfall". Als groteske Verzerrung figuriert die Fotografie in diesem Text, als Instrument der Lüge wird sie bezeichnet, weil sie einen zufälligen Moment einfriert, in dem sich der oder die Abgebildete(n) stilisiert.

Sie flüchten hinein in die Fotografie, schrumpfen mutwillig auf die Fotografie zusammen, die sie in totaler Verfälschung als glücklich und schön, oder mindestens als weniger hässlich und weniger unglücklich zeigt, als sie sind. Sie fordern von der Fotografie ihr Wunsch- und Idealbild, und es ist ihnen jedes Mittel, und sei es die grauenhafteste Verzerrung, recht, dieses Wunschbild und dieses Idealbild auf einem Foto herzustellen.

Eine groteske Verzerrung?

Deckt sich dieses vernichtende Urteil mit Thomas Bernhards persönlicher Haltung zur Fotografie? Wie meist in seinen Texten wird das Erzählte durch das Bewusstsein eines Ichs gefiltert, also von einem Ich-Erzähler präsentiert. (Und aus dem Literaturseminar wissen wir, dass Autor und Ich-Erzähler nicht miteinander verwechselt werden dürfen). Tatsächlich war Thomas Bernhards Verhältnis zur Fotografie wohl ambivalent. Er hat sich immer wieder fotografieren lassen: Einerseits von Verlagsfotografen, die Fotos aufgenommen haben für Verlagswerbung etwa, andererseits gab es Fotografen, zu denen Bernhard ein Naheverhältnis hatte.

Erika Schmied, die Frau seines langjährigen Freundes Wieland Schmied, hat Bernhard im Laufe der Jahre immer wieder fotografiert. Die wohl bekanntesten Bernhard-Fotos hat der österreichische Fotograf Sepp Dreissinger geschossen. An den verschiedensten Orten hat Sepp Dreissinger Bernhard abgelichtet: Vor den kargen Mauern seines Vierkanthofes in Obernathal, der abweisend wie eine Trutzburg wirkt, am Wiener Graben, wo Bernhard auf seiner Lieblingsbank Platz genommen hat – leicht süffisant lächelnd. Und natürlich im Café Bräunerhof, das Thomas Bernhard den so genannten Künstler- und Literaturcafés wie dem Hawelka vorgezogen hat.

Der Literat im Kaffeehaus

Nur wenige Monate vor Thomas Bernhards Tod entsteht im Bräunerhof eines jener Fotos, das beinahe wie ein Vermächtnis des sterbenskranken Schriftstellers für die Nachwelt wirkt. Ein Foto, das bis heute immer wieder gedruckt und publiziert worden ist. Vielleicht, weil es dem Klischee des Literaten im Kaffeehaus entspricht. Die Beine übereinander geschlagenen mit einer gewissen Distanz im Blick, sitzt Bernhard am Kaffeehaustisch, vor ihm ein Stapel internationaler Zeitungen. Die hohe Denkerstirn lässt tiefsinnige Gedanken erahnen und insgesamt wird der Eindruck intellektuellen Entrückt-seins vermittelt. Wie viel Selbstdarstellung steckt in diesem Bild? Im Gesicht, in der Körperhaltung? Gehörten die zirkulierenden Bilder seiner Person ab einem gewissen Zeitpunkt zum Gesamtkunstwerk Thomas Bernhard, bemächtigte sich da die literarische Existenz der realen? Zum Teil ja, schreibt Bernhards langjähriger Freund Wieland Schmied:

Jetzt baute er, wie er in seinen letzten Jahren sagte, an seinem Denkmal, und der Gedanke an die Nachwelt hat ihn konstant beschäftigt. Er setzte seine Legende in Szene – nicht bloß in den Augenblicken vor der Kamera, sondern in allem, wie er nach außen hin in Erscheinung trat. Da sollte nichts zufällig sein und ablenken.

Wer Bernhards mediale Auftritte kennt, die berühmten "Monologe auf Mallorca" etwa, die die ORF-Journalistin Krista Fleischmann dokumentiert hat, weiß, dass sein öffentliches Auftreten nicht als authentisches Zeugnis missverstanden werden darf. Das Fernsehinterview entdeckte Bernhard geradezu als Kunstform, die der Inszenierung einer Persona diente. In den Gesprächen mit Krista Fleischmann ist der Schalk in Bernhards Augen nicht zu übersehen. In diesen Gesprächen sprüht Bernhard vor Esprit, ein Bonmot jagt das andere und eine ungeheuerliche Behauptung folgt auf die nächste. Genießt da einer seine Narrenfreiheit und treibt im seriösen Kulturfernsehen seinen Späße?

Lachphilosoph und Übertreibungskünstler

Thomas Bernhard kannte die Macht der Bilder und er wusste sie wohl auch für sich zu nutzen. Trotzdem wird die Fotografie in seinem Opus magnum, das fast als Kondensat seines Schreibens verstanden werden kann, zu seinem rhetorischen Feindbild. Interessant ist, dass Bernhard in "Auslöschung" die groteske Verzerrung, die er der Fotografie attestiert, mit seinem eigenen literarischen Verfahren kurzschließt.

"Die Fotografie wird auch zu einem Zeichen für die künstlerische Vorgangsweise im Allgemeinen, also für das Überführen lebendiger in den Alltagsfluss eingebauter Menschen in ein erstarrtes Bild. In der Kunst werden also Menschen auf bestimmte Bilder festgeschrieben, oder in bestimmten Bildern eingefangen.", sagt der Bernhard-Experte Manfred Mittermayer.

Kurz nach der großen Fotografieschelte folgt im Roman "Auslöschung" die berühmte Passage, in der sich Bernhard, oder vielmehr der Ich-Erzähler Murau, als Übertreibungskünstler bezeichnet. (Wenn man von Stilisierung spricht, ist es natürlich auch interessant, dass Bernhard die Schubladen, in denen er von Kritik und Medien gesteckt worden ist, gewissermaßen selbst etikettiert hat. Als "Geschichtenzerstörer" etwa bezeichnete er sich ebenfalls selbst und zwar in Ferry Radax' Film "Drei Tage".) Die Verzerrung, die Übertreibung, die Schwarzweißmalerei, für die Bernhard oft kritisiert und wegen der er einige Male geklagt worden ist, ist für ihn eine Form der literarischen Weltaneignung, das Einfrieren des Bildes in der Fotografie eine poetologische Metapher für das eigene Verfahren.

Service

Buch: Sepp Dreissinger (Hg.) "Was reden die Leute. 58 Begegnungen mit Thomas Bernhard." Müry Salzmann Verlag, 2010.

Ausstellung: "Thomas Bernhard - Das führt alles zu nix", Fotografien von Sepp Dreissinger, 4. Februar bis 8. Mai 2011, Galerie WestLicht,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen ermäßigten Eintritt (EUR 4,50)

Galerie WestLicht