Bloß keine Begegnungen mit Schriftstellern!
Thomas Glavinic über Menschen
Thomas Glavinic legt ein Bekenntnis ab: Begegnungen mit leibhaftigen Menschen, so der Schriftsteller, sollten seiner Ansicht nach nur in wohldosiertem Maße angestrebt werden: "Natürlich sind Begegnungen in meinem privaten Umfeld wichtig, aber ohne dass ich mich für einen Misanthropen halte, komme ich auch ohne ganz gut klar."
8. April 2017, 21:58
"Das bedeutet nicht, dass ich mich die meiste Zeit in meiner Wohnung einsperre, aber ich habe auch keine allzu großen Schwierigkeiten zu meistern, wenn ich zu Hause bin und niemandem begegne", fährt er fort.
Thomas Glavinic, Schriftsteller
"Die Künstler sind nicht so gut wie ihre Kunstwerke! Man kann sich Ikonen zerstören, wenn man ihnen mal begegnet."
Virtueller Kontakt
Mit besonderer Skepsis betrachtet Thomas Glavinic übrigens Begegnungen mit Künstlern, konkret: mit Schriftstellern. Soeben hat der derzeit wohl meistbeachtete österreichische Autor seinen jüngsten Roman, "Lisa", einen Psychokrimi der ausgefallenen Art, vorgelegt. Darin ist der Held, wenn auch wider Willen, ein Stubenhocker, der ausschließlich mit der virtuellen Welt Kontakt hat - eine Begegnungsform, die Glavinic immerhin im Grunde unterhaltsam findet:
"Bei virtuellen Begegnungen gilt es zwei Dinge zu bedenken. Erstens: Es ist eine Begegnung mit einem Computer, mit einer Welt, die so ja nicht existiert. Und zweitens: Der Mensch dahinter, den gibt es natürlich. Ich hab mich mit dem ganzen Prinzip geeinigt, dass wir es nicht ernst nehmen, das System und ich. Ich finde, dass alles, was sich in sozialen Medien wie facebook abspielt, in der Regel lustig und nicht ernst zu nehmen ist. Oberfläche ist ja nichts Böses an sich, man darf ja durchaus einmal oberflächlich sein, wir können nicht die ganze Zeit die totale Konzentration ertragen, also ist es auch in Ordnung, dass wir uns einmal zurückziehen ins virtuelle Kaffeehaus oder in die Tratschecke facebook, damit wir uns entspannen."
Enttäuschung mit Jugendidol
Was für ein Mensch ist der Protagonist in "Lisa", ein Mann namens "Tom"? Was treibt ihn an, was ängstigt oder verstört ihn? Nur das sei wichtig, so Glavinic, und nicht etwa die Frage, welche Parallelen es zwischen dem Leben des Urhebers des Werks und der erfundenen Figur gebe. Die Begegnung mit einem Schriftsteller kann nur enttäuschend enden, so viel steht für Glavinic fest:
"Mich interessieren die Bücher der Schriftsteller, mich interessiert die Musik der Musiker, und mich interessieren die Gemälde der Maler, aber mich interessieren die Menschen dahinter nur beschränkt. Die Künstler sind nicht so gut wie ihre Kunstwerke! Man kann sich Ikonen zerstören, wenn man ihnen mal begegnet, deswegen lasse ich es lieber sein und freue mich an den Büchern, an der Musik und an den Bildern."
Vor zehn Jahren traf Thomas Glavinic einmal ein Jugendidol - und zog daraus seine Lehren: "Das war der Jochen Distelmeyer, der Sänger von Blumfeld. Ich saß mit ihm in Hamburg zwei Stunden im Kaffeehaus, und davor war er mein Held, danach nicht. Es ist etwas anderes, wenn man das ästhetisch verdichtete Beste eines Menschen erlebt, als wenn man ihn im Alltag erlebt, wie er seine Zigaretten im Aschenbecher ausdämpft, sich die Finger verbrennt und Angst hat, ein Handy zu benützen, weil er sich vor den Strahlen fürchtet. Ich habe nichts von dem wiedererkannt, was mir in seiner Musik wichtig ist."
Aber auch mit Autoren machte Glavinic schon seine Erfahrungen: "Ich saß auch schon zwei Stunden Jonathan Franzen gegenüber, und ich hab mal drei Stunden mit Jonathan Safran Foer zu Abend gegessen. Das sind hochintelligente, großartige Schriftsteller, aber wenn ich jetzt nie wieder mit denen zu Abend esse, wird mir auch nichts abgehen. Ohne dass ich mich mit diesen Personen vergleichen will, wird es bei mir auch nicht viel anders sein wird, wahrscheinlich ist es auch nicht besonders interessant, mich zu treffen, aber ich hoffe zumindest, dass meine Bücher ein bisschen interessanter sind."
Beeindruckt von Huckleberry Finn
Begegnungen mit literarischen Figuren sind natürlich nicht mit dem Treffen realer Menschen vergleichbar, so Glavinic, aber: sich auf die Couch zu legen und sich ganz auf das Ergebnis der Fantasie eines Künstlers, auf die erfundene Figur eines Schriftstellers einzulassen, das sei für ihn etwas Wunderbares:
"Ich erinnere mich noch bestens daran, wie ich mit sieben oder acht Jahren das erste Mal unterm Weihnachtsbaum 'Tom Sawyer und Huckleberry Finn' gelesen habe. Diese Figur des Huckleberry Finn hat mich sehr beeindruckt, der Junge war relativ einsam, hat allerlei Abenteuer erlebt und hat zu mir gesprochen."
Ansonsten gilt - von Mark Twain bis zu Thomas Glavinic: "Jeder Künstler, jeder Mensch führt ein banales Leben. Wer ist denn 24 Stunden am Tag in den höchsten Sphären und tut nur Dinge, die man eins zu eins in die edelste Biografie übernehmen könnte? Menschen - und auch Künstler sind Menschen - haben uns in ihrem Alltag in der Regel wenig Glorreiches mitzugeben."
Service
Thomas Glavinic, "Lisa", Hanser Verlag
Buchpräsentation Thomas Glavinic "Lisa", Montag, 14. Februar, 20:00 Uhr, Rabenhof Theater, Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (20 Prozent).
Thomas Glavinic
Hanser - Thomas Glavinic
Rabenhof