Berlinale-Sonderprogramm

Kritische ägyptische Filme

In den Tagen der ägyptischen Revolution, als Polizisten und vom Regime bezahlte Schläger versuchten, mit Gewalt die Demonstranten vom Tahrir-Platz in Kairo zu vertreiben, wandten sich ägyptische Filmemacher an ihre Kollegen in Berlin mit der Bitte um Solidarität.

Kurz vor der Berlinale schlugen sie vor, schnell ein Programm mit Werken ägyptischer Regisseure zu organisieren, die Teil der Demokratie-Bewegung sind. Obwohl das Berlinale-Programm bereits gedruckt und die Säle belegt waren, reagierte die Forum-Sektion binnen weniger Stunden positiv auf die Anfrage. Unter dem Titel "Spuren der Veränderung in Ägypten" wird die Nahost-Filmexpertin Irit Neidhardt am 18. Februar Ausschnitte aus einigen Werken unabhängiger ägyptischer Filmemacher präsentieren, die fast alle in den letzten fünf Jahren entstanden sind.

Kulturjournal, 18.02.2011

Ein Shams ist ein Armenviertel Kairos, aber zur Zeit der Pharaonen war es die Hauptstadt Ägyptens. Der Film "Ein Shams", auf Deutsch "Das Auge der Sonne", von Ibrahim El Batout, verschafft Einblicke in die Feinheiten des politischen Systems und der Sozialstrukturen Ägyptens unter dem inzwischen gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak. Wir sehen das Elend durch die Augen des elfjährigen Mädchens Shams, die im gleichnamigen Stadtteil wohnt.

"Ein Shams" ist einer der neuen unabhängigen ägyptischen Filme, betont Irit Neidhardt, die Filme des Mittleren Ostens in die deutschen Kinos bringt: "Was ganz Wichtiges in Bezug auf ägyptisches unabhängiges Kino ist, dass es nicht wie in anderen Ländern über die Themen definiert wird, dass es vor allem um die Produktionsweise geht, die auch unter anderem aus der Not entstanden ist. Die beiden Regisseure, die ihre Filme ins Kino gebracht haben, Ibrahim El Batout und Achmad Abdallah, beide mit zwei Filmen mittlerweile, haben beide nicht Film studiert und konnten darum nicht Mitglieder im Filmverband werden."

Denn ein Filmemacher in Ägypten braucht die Genehmigung des staatlichen Filmverbands und der Zensur für sein Drehbuch, um überhaupt eine Drehgenehmigung von der Polizei zu bekommen.

Batout zeigt das Armenviertel Kairos

Ibrahim El Batout, der jahrelang als Kameramann des Fernsehens Kriege und bewaffnete Konflikte in 30 Staaten, zum Beispiel in Nahost und auf dem Balkan dokumentierte, widersetzt sich dieser Praxis und machte sich eigenständig ein Filmprojekt, das das Leben in diesem Armenhaus in Kairo, Ein Shams, zeigt.

Ein befreundeter Lehrer, der in Ein Shams wohnt, verschaffte ihm den Zugang zu den Bewohnern des Viertels. In der Schlussszene seines Films zeigte Batout sogar die Verhaftung seines Filmteams 2006. Kein Wunder, dass der staatliche Zensor kochte. Erst nach einem zweijährigen Ringen und nachdem sein Film auf drei internationalen Filmfestivals ausgezeichnet worden war, erhielt Batout 2009 endlich die Erlaubnis "Ein Shams" auch in Ägypten zu zeigen. Die Mitarbeiter der Produktionsfirma rasten mit den Genehmigungsurkunden zu den vier Kinos in Kairo und den drei Kinos in Alexandria, um rechtzeitig zur 22-Uhr-Vorführung da zu sein.

Noch vor der Premiere in Kairo sagte Ibrahim El Batout der Presse: "Ich glaube nicht an Zensur. Ich glaube nicht, dass ich mein Manuskript und meine Ideen irgendjemandem zur Autorisierung vorlegen muss. Deshalb habe ich mit meiner Digitalkamera den ersten Film in der Geschichte Ägyptens gedreht.!

Kritische Distanz zu den Machthabern

Ende der 1980er Jahre dokumentierte Batout mit seiner Kamera die Krawalle gegen die Polizei im Stadtteil Ein Shams. Dabei traf ihn eine Polizeikugel an der rechten Hand. Denn wie auch der Westen während des zweiwöchigen Aufstands in Kairo sehen konnte, lassen sich die Staatsdiener nur ungern bei ihrer Arbeit filmen.

Kritische Distanz zu den Machthabern zeichnet die unabhängige Filmszene in Ägypten aus. Im bisher teuersten ägyptischen Film, dem Kassenschlager "Das Yacoubian Building" von Marwan Hamed, skizziert der Plot die allgegenwärtige Korruption unter Politikern in Kairo, das Leben von Schwulen, Folter und Polizeigewalt gegen fundamentalistische Moslembrüder. Der Film wurde daher auf der Berlinale 2006 bejubelt.

Die Expertin für Filme aus dem Nahen Osten, Irit Neidhardt, erinnert sich an den Auftritt des Regisseurs: "Marwan Hamed hat sich vor das Berlinale Publikum gestellt und gesagt, es gab kein Problem mit der Zensur, so schlimm wäre das gar nicht. Was er aber nicht erzählt hat, war, dass er parallel zu 'Omaret Yakobean' die ganzen Wahlkampfspots für Husni Mubarak gedreht hat und seine Mutter zu der Zeit die Intendantin des staatlichen ägyptischen Fernsehens gewesen ist." Was so viel heißt, auch eine Diktatur wie die Mubaraks ließ eine gewisse Kritik zu, wenn man Beziehungen hatte, und ersparte den Umweg über den Zensor.

Bürokratische Hürden und dinanzielle Hindernisse

Lediglich vier lange Spielfilme und mehrere Kurzfilme zählt Verleiherin Irit Neidhardt zum Kreis des unabhängigen ägyptischen Kinos. Zusätzlich zu den bürokratischen Hürden müssen diese Filmemacher auch finanzielle Hindernisse überwinden. Ägypten ist zwar das einzige arabische Land mit einer wirklichen Filmindustrie, die rund 30 Spielfilme im Jahr produziert, aber sie alle müssen ihre Produktionskosten an der Kinokasse einspielen.

"Das eine, was unabhängige Filmschaffende machen ist, sich außerhalb der staatlich kontrollierten Strukturen zu stellen", sagt Neidhardt. "Und einige von denen gehen auch in Opposition zum Kommerz des Kinos. Das ägyptische Kino ist extrem kommerziell, es gibt keine staatliche Filmförderung."

Das filmische Ergebnis: Lokale Komödien, die die schwierige politische und soziale Realität in Ägypten ausblenden. In Multiplex-Kinos samt Popcorn finden sie ihr Publikum, neben synchronisierten Fassungen von Hollywood-Filmen.

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