Große Erwartungen, verhaltener Optimismus
Verpflichtendes Kindergartenjahr: Zwischenbilanz
Im Herbst 2011 kommt ein ganz besonderer Jahrgang in die österreichischen Volksschulen: Jene Sechsjährigen nämlich, die als erste das verpflichtende Kindergartenjahr durchlaufen haben.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 19.02.2011
Verbesserungsbedarf
Werden die Sechsjährigen, die im Herbst 2011 in die Schulen kommen, besser Deutsch können und mehr soziale Kompetenz haben? Werden jene mit Sonderproblemen entsprechend gefördert und betreut worden sein? Das alles sind hohe Erwartungen, die das verpflichtende Kindergartenjahr erfüllen soll.
Raphaela Keller, Obfrau des Berufsgruppenverbandes der Kindergarten- und Hortpädagoginnen, ist skeptisch: "Wir glauben nicht ganz daran, weil das mit fünf Jahren ein bisschen spät ist und bei den Bedingungen sind wir auch nicht zufrieden."
Kinder bräuchten viel kleinere Gruppen, besser ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen und native speaker, um durch Beziehung und Sprache wirklich gut lernen zu können, so Keller. Die ideale Kindergartengruppe umfasst laut Keller nicht mehr als 15 Kinder und zwei Pädagoginnen. Davon ist man in Österreich weit entfernt.
Skepsis bei Expertinnen und Experten
Auch beim Bildungsforschungsinstitut BIFIE, das in Österreich unter anderem die PISA-Studie durchführt, ist man nicht sicher, ob der Effekt des Kindergartenjahres signifikant positiv ausfallen wird, sagt BIFIE-Expertin Claudia Schreiner. Das sei deshalb schwer zu berechnen, weil gerade in Österreich auch ohne das verpflichtende Kindergartenjahr ein ganz großer Prozentsatz der Kinder das letze Kindergartenjahr absolviere. Die Vergleichsgruppe sei also minimal, so die Expertin.
Spracherwerb: Kindergarten positiv
Fest stehen dürfte aber, dass der Kindergartenbesuch ganz generell gut für den Spracherwerb ist. Auf Migrant/innen will Berufsgruppenobfrau Raphaela Keller das Problem nicht beschränkt sehen: "Ob es jetzt speziell für diese Kinder mehr bringt, weiß ich nicht, weil wir so viele - in Klammer – österreichische Kinder mit österreichisch-deutsch-sprachigem Hintergrund haben, die auch sehr hohe Sprachdefizite haben", so die Obfrau des Berufsgruppenverbandes der Kindergarten- und Hortpädagoginnen. Es sei zu "billig", das einfach auf Migrationskinder abzuwälzen.
Feuertaufe im Herbst
Kleine Kinder lernten sehr schnell, sagt Keller. Sie erst mit fünf Jahren in den Kindergarten zu schicken, sei ein bisschen spät, obwohl man "kann nicht sagen mit drei, oder mit zweieinhalb oder mit vier auf jeden Fall". Fest stehe aber, dass Kinder sehr früh andere Kinder brauchen, so Keller.
Aber besser mit fünf als gar nicht, meint BIFIE-Expertin Claudia Schreiner: "Nachdem man davon ausgehen kann, dass Kinder, die den Kindergarten bisher gar nicht besucht haben, eher aus sozial benachteiligten Familien kommen, kann man schon hoffen, dass diese Maßnahme auch Wirkung zeigt. Die Größenordnung kann man, wenn man kein Prophet ist, schlicht und einfach nicht abschätzen." Spannend wird es im Herbst: Beim Schuleintritt wird sich erweisen, ob das Pflicht-Kindergartenjahr das bringt, was von ihm erwartet wird.