Susanne Scholl über Asylwerber
Allein zu Hause
Nach einem Gedichtband, drei Romanen und vier Sachbüchern ist soeben Susanne Scholls neuntes Buch erschienen. Es trägt den Titel "Allein zu Hause" und beschreibt Schicksale jener Menschen, die in Österreich Hilfe vor Elend und Verfolgung in ihren Heimatländern suchen.
8. April 2017, 21:58
Kultur aktuell, 22.02.2011
Kritik an Fremdenrechtspaket
Im Ministerrat soll am Dienstag das Fremdenrechtspaket beschlossen werden. Gegen den Gesetzesentwurf gab es im Vorfeld regen Protest von Hilfsorganisationen, weil es eine Reihe von Schikanen und Verschärfungen zu Lasten von Menschen auf der Flucht enthalten soll.
Zu den Kritikern des Gesetzesentwurfs, aber auch des momentanen Umgangs mit Asylwerbern in Österreich zählt die längjährige ehemalige Russland-Korrespondentin des ORF, Susanne Scholl.
Menschliche Kälte
Sie solle doch froh sein, meinten Bekannte zu ihr, nach fast zwanzig Jahren in Russland, wo Journalisten ermordet und die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, zurück in Österreich zu sein, wo Recht noch Recht ist. Dem setzt Susanne Scholl ein "Ja, aber" entgegen. "Was ich in diesem Land, in dem ich zu Hause und möglicherweise sogar daheim bin, nicht ertragen kann", schreibt Scholl: "Die Kälte, mit der mit Menschenleben umgegangen wird".
"In vielen Fällen von Leuten, die hier in Österreich sind, bedeutet die Abschiebung tatsächlich Abschiebung in Lebensgefahr und manchmal auch in den Tod", so Scholl.
Als Russland-Korrespondentin hat Scholl oft vom Kriegsschauplatz Tschetschenien berichtet. Die Verwüstungen im Land, aber auch in den Seelen der Menschen hat sie hautnah miterlebt.
Kinder im Keller
Den Umgang österreichischer Behörden mit tschetschenischen Flüchtlingen kann sie nicht nachvollziehen: "Die Leute, die hier in Österreich beurteilen, wie weit die Tschetschenen, die herkommen und die hier um Hilfe suchen, traumatisiert sind oder nicht, waren offensichtlich nie in einer Kriegssituation, haben nie gesehen, was es bedeutet, in einer Stadt zu leben, die dem Erdboden gleichgemacht worden ist, seine Kinder in einem Keller aufziehen zu müssen, weiter zu leben trotz unglaublicher Gewalttaten..."
Österreichische Ärzte im Flüchtlingslager Traiskirchen, kritisiert Scholl, würden Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation WHO in Frage stellen, wonach 86 Prozent der Bevölkerung in Tschetschenien Symptome einer Traumatisierung aufweisen.
"Es gibt den Fall einer jungen Tschetschenin, die in den Interviews mit den Beamten hier nicht in der Lage war, über die Vergewaltigungen zu reden, die ihr passiert sind. Als sie es dann nach dem fünften Mal über sich brachte, das zu erzählen, hat man im abschlägigen Asylbescheid gesagt, das sei nicht asylrelevant", erzählt Scholl.
Erfolgreicher Protest in Vorarlberg
Gewidmet hat Scholl "Allein zu Hause" ihren tschetschenischen Freundinnen und Freunden. Gesprochen hat sie aber auch mit Tahira und Faim, Nabim und Leila, mit Menschen aus Aserbaidschan, Nepal, Afghanistan und Nigeria. Und mit Elvis und Alena, jenen Asylwerbern aus dem Kosovo, deren Abschiebung Bürger der Vorarlberger Gemeinde Röthis durch ihren Protest gerade noch verhindern konnten.
"Ich habe im Lauf der Recherchen zu dem Buch die Erfahrung gemacht, dass die Leute, die direkt mit Flüchtlingsschicksalen konfrontiert sind, und die auch die Geschichten dieser Leute kennen - und das ist so entscheidend -, nicht wollen, dass die abgeschoben werden", betont die Autorin.
Briefe an die Regierung
Als Ende April des Vorjahres der Trainer und ein Spieler des Fußballvereins Sans Papiers beim Training abgeholt und in der Folge abgeschoben werden sollten, wollte Susanne Scholl etwas unternehmen. Also schrieb sie Briefe an den Bundeskanzler, den Außenminister und die Innenministerin.
"Wenn sie rundherum schauen, gibt es überall Gruppen, die sich organisieren und sagen: Wir wollen nicht, dass der und jene abgeschoben wird und wir finden die Art, damit umzugehen nicht richtig", so sagt Scholl. "Und die Antworten, die man kriegt, besagen nur: Lasst uns in Ruh, seids nicht lästig, wir wissen schon, was wir tun. Und das glaube ich nicht."
"Eine Korrespondenz" ist das letzte Kapitel von Susanne Scholls Buch betitelt, im der der Briefwechsel mit Bundeskanzler, Außenminister und Innenministerin im Wortlaut nachzulesen ist.
Textfassung: Rainer Elstner