Unterdrückte Frauen ergreifen die Initiative

Die Hälfte des Himmels

Was man tun könnte und müsste, um das Los von Frauen in der Dritten Welt zu verbessern, steht fest. Wirksames Handeln ist möglich, sagen Sheryl WuDunn und Nicholas Kristof. Sie erzählen in ihrem Buch "Die Hälfte des Himmels" Geschichten von Frauen, die die Initiative ergriffen haben.

Das Coverfoto strahlt fast Fröhlichkeit aus: Sechs Frauen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Alters lächeln in die Kamera. Darunter der poetisch anmutende Titel "Die Hälfte des Himmels".

"Der Titel stammt von einem chinesischen Spruch", erzählt Sheryl WuDunn. "Frauen, heißt es, tragen die Hälfte des Himmels. Wir dachten uns, das passe sehr gut. Denn in Industrieländern, in Europa und den USA, ist es tatsächlich so, dass Frauen die Hälfte des Himmels tragen. Doch in den Entwicklungsländern ist das nicht der Fall. Wir kämpfen also für eine Zukunft, in der alle Frauen die Hälfte des Himmels tragen."

Grimmige Details

Der poetische Titel täuscht also, und auch die fröhlichen Gesichter. Sheryl WuDunn und ihr Mann Nicholas Kristof - beide mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Journalisten - beschreiben in grimmigen Details die Situation von Frauen in Ländern der Dritten Welt. Das Buch ist eine sorgfältig recherchierte und systematisch aufbereitete Bestandsaufnahme.

Die ursprüngliche Idee dazu ist 20 Jahre alt. 1989 waren die Journalisten in China und bericheten über das Tianemen-Massaker in Peking. "Ein Jahr später reisten wir durch ländliche Regionen Chinas und erfuhren Dinge, über die bis zu diesem Zeitpunkt niemand auch nur eine Zeile geschrieben hatte: dass nämlich in China auf dem Land neugeborene Mädchen umgebracht bzw. weibliche Föten abgetrieben wurden", erinnert sich WuDunn. "Dadurch fehlten in China 30 Millionen Mädchen. In den darauffolgenden Jahren reisten wir auch nach Japan und in andere asiatische Länder. Dann begann mein Mann Kolumnen zu schreiben und reiste nach Afrika. Durch die Reisen wurde uns klar, wie weit verbreitet das Problem war. Wir hielten es für sehr wichtig, darüber zu schreiben."

Der Welt gehen Frauen ab

Demographen haben mittlerweile errechnet: Der Welt gehen zwischen 60 und 100 Millionen Frauen ab. Abtreibung und Kindesmord sind nicht die einzigen Ursachen. Frauen werden auch gesundheitlich systematisch vernachlässigt.

Die Autoren schreiben eindringlich von den vielen Gräueltaten gegen Frauen. Über Vergewaltigung und Steinigung, über Brautverbrennung und Verstoßung. Ihr Opfer haben Gesichter und Namen. Wie Naema Azar aus Pakistan. Sie verlor ihr Augenlicht durch ein Säureattentat. Vermutlicher Täter: Ihr Ex-Mann.

Menschenhandel und Sexsklaverei

Sheryl WuDunn und Nicholas Kristof befassen sich ausführlich mit Menschenhandel und Sexsklaverei. Am Höhepunkt der Sklaverei in den USA um 1780 wurden pro Jahr rund 80.000 Menschen aus Afrika in die Neue Welt verschifft. Im modernen Sklavenhandel des 21. Jahrhunderts werden jährlich 800.000 verschachert.

Nicholas Kristof beschloss seinen ganz persönlichen Beitrag zur Bekämpfung zu leisten: "Ich rate niemandem, Mädchen freizukaufen. Das ist nicht die Lösung. Mein Mann hat das in Kambodscha gemacht: Er hat zwei Sexsklavinnen gekauft und ihnen die Freiheit geschenkt", so WuDunn. "Es ist nicht leicht, diesen Menschen zu helfen. Wir beschreiben im Buch die Höhe- und Tiefpunkte. Es ist schwierig. Die meisten Mädchen haben keine ordentliche Schulbildung. Doch es gelang uns, den beiden zu helfen. Neth hat den Übergang sehr gut geschafft und hat jetzt einen kleinen Laden. Bei Momm hat es etwas länger gedauert. Aber jetzt ist sie verheiratet, hat ein Kind, und es geht ihr gut."

Sucht trieb zurück ins Bordell

Bei Momm hat die Eingliederung in ein normales Leben deshalb länger gedauert, weil sie bald nach ihrer Befreiung ins Bordell zurückkehrte. Der Grund: Wie viele Prostituierte wurde auch sie von Drogen abhängig gemacht. Die Sucht trieb sie zurück ins Bordell.

Schulbildung und wirtschaftliche Unterstützung

Der Schlüssel zur Verbesserung des Los der Frauen seien Schulbildung und wirtschaftliche Unterstützung. Die Autoren führen viele Beispiele von Frauen an, die - sei es durch Glück oder durch Eigeninitiative - ihr Leben und in der Folge das Leben für ihre Gemeinschaft veränderten.


Die Autoren verstehen ihr Buch nicht nur als schockierende Bestandsaufnahme der Lage der Frauen in vielen Ländern der Welt. Es ist auch als Aufruf zum Handeln gedacht; es ist ein Plädoyer, sich zu engagieren, zu spenden oder vielleicht sogar eine Organisation zu gründen. Wer meint, er wisse nicht, wo er mit seiner Hilfe ansetzen solle, dem machen die Autoren es leicht: Sowohl am Ende des Buches als auch auf der Internetseite http://www.halftheskymovement.org findet sich eine lange Liste von seriösen Organisationen.

Service

Nicholas D. Kristof, Sheryl WuDunn, "Die Hälfte des Himmels - Wie Frauen weltweit für eine bessere Zukunft kämpfen", C. H. Beck Verlag

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