Neuer Roman von Julya Rabinowich

Herznovelle

Das Genre des Arztromans hat etwas Anrüchiges. Julya Rabinowich muss sich dessen bewusst gewesen sein, als sie den Plot zu ihrer "Herznovelle" konzipiert hat. Dieser Plot ist ebenso schlicht wie riskant: Eine Herzpatientin - in leidenschaftsloser Ehe mit einem netten, aber berechnenden Langeweiler verheiratet - verfällt in postoperativem Liebeswahn ihrem feschen Kardio-Chirurgen.

Er greift zwischen meine Rippen
nimmt mein Herz und hebt es heraus.
Meine Rippen sind Kirchengewölbe
in die ein Heiligtum eingebettet ist
er greift in mein Rippengewölbe
und nimmt mein Herz heraus
und sieht es an.


"In der 'Herznovelle' ging es mir vor allem darum, das Porträt einer obsessiven Frau anzufertigen", erklärt Julya Rabinowich im Gespräch, "aber natürlich nicht nur das, sondern auch darum, zu sezieren, wie wirkt sich diese Obsession aus, in welche Schichten begibt sie sich, wohin im Bewussten, wohin auch im Unbewussten, und welche Folgen hat das für das System, in dem die Obsessive lebt?"

Wunschtraum und Wirklichkeit

Julya Rabinowichs Protagonistin beginnt ihrem ärztlichen Helfer nachzustellen, nachdem der sie erfolgreich am Herzen operiert hat. Die Rehabilitantin erzwingt vorzeitige Nachuntersuchungen, sie dosiert ihre Medikamente absichtlich falsch, um dem Angeschmachteten so oft wie möglich vorgeführt zu werden, sie lässt sich in die Kleinstadtklinik, in der er tätig ist, einweisen und schleicht am Wochenende durch die Gänge, um den begehrten Medikus in den Blick und letztlich vielleicht ins Bett zu bekommen.

Weit hinten am anderen Ende des Tunnels, den die Krankenzimmer bilden, taucht eine vornübergebeugte Gestalt in einem Ärztemantel auf, quert den Gang und verschwindet wieder. Der Speichelfluss setzt fast unmittelbar ein. Ein Pawlowscher Hund ist ein Dreck dagegen, denke ich und beschleunige.

Es ist wie gesagt ein riskanter Plot mit exorbitantem Peinlichkeits-Potenzial, den Julya Rabinowich da gewählt hat. Ihre Heldin steigert sich immer heilloser in die Liebe zu ihrem Arzt und vermeintlichen Retter hinein, die Grenzen zwischen Wunschtraum, Vision und Wirklichkeit verschwimmen, und irgendwann vermag die Protagonistin - und mit ihr der Leser - nicht mehr so recht zu unterscheiden, was Einbildung ist in dieser Erzählung und was "real" Erlebtes. Eines allerdings steht fest: Der angehimmelte Arzt verschanzt sich hinter seiner professionellen Unnahbarkeit und bleibt distanziert.

Ich möchte seine Nähe wieder und wieder erreichen, wenn schon nicht von Haut zu Haut, so wenigstens von Blick zu Blick, Wort zu Wort, sogar wenn diese Worte bloß Diagnosebesprechungen sind, alles, alles ist mir lieber als seine Abwesenheit und sein Schweigen.

Hinter den Grenzen des guten Geschmacks

Schon nach wenigen Seiten fragt man sich, ob einem Julya Rabinowichs Protagonistin nicht auf die Nerven geht, diese verliebte Hysterikerin, die ihrem Chirurgen nachstellt und dabei die Grenzen des guten Geschmacks mit traumtänzerischer Sicherheit weit hinter sich lässt. Dann aber versöhnt einen immer wieder die charmante Selbstironie, mit der Rabinowich ihre Novelle gewürzt hat.

"Das Ironische und das Sich-über-das-Schlimmste-lustig-Machende ist für mich bitter ernst, es ist überlebenswichtig", sagt Julya Rabinowich. "Ich denke, Dinge, über die man nicht lachen kann, bringen einen um."

Die Autorin Julya Rabinowich gerät ganz und gar unironisch ins Schwärmen, wenn sie auf die unerhörten Tugenden zu sprechen kommt, die ihrer Meinung nach viele Repräsentanten des Ärztestands auszeichnen:
"Weil viele, nicht alle, aber viele Ärzte für mich besondere Menschen sind, die in einer Art und Weise Verantwortung übernehmen wollen, wie sehr viele andere Menschen es nicht tun würden, die in einer Art und Weise verlässlich sind, wie es viele andere Menschen nicht tun würden. Das sind zwei Eigenschaften, die mich immer sehr beeindruckt haben."

Mit trickenem Humor

Letztlich ist es eine Geschmacksfrage, ob man der obsessiven Liebessehnsucht von Julya Rabinowichs Protagonistin etwas abgewinnen kann oder nicht. Erotisches Kammerflimmern - in Novellenform gekleidet - ist nicht jedermanns Sache. Was Rabinowichs "Herznovelle" schlussendlich rettet, ist der trockene Humor der Autorin.

Er greift in meinen Brustkorb
und nimmt das Herz aus meiner Brust
und dreht es
um seine Achse
und zeigt es mir...
Ich sehe es schlagen
und spüre gleichzeitig den Druck seiner Hände
ununterscheidbar
ungetrennt
und ich sage:
Kannst Du das fühlen?
Und er sagt:
Das ist mein Job.

Service

Julya Rabinowich, "Herznovelle", Deuticke-Verlag

Hanser Verlage - Julya Rabinowich