Vom Herzschmerz zum Buch
Julya Rabinowich über Ärzte
"Das ganze Leben ist eine einzige Begegnung, ich begegne dem Leben, das Leben begegnet mir." Die Schriftstellerin Julya Rabinowich sagt: "Ich will die Welt begreifen - und ich will sie durch andere begreifen".
8. April 2017, 21:58
Julya Rabinowich, Schriftstellerin
"Der Fährmann entscheidet nicht über Leben und Tod..."
Die gebürtige Russin, die mit sieben Jahren nach Österreich kam, will sich "die Welt einverleiben durch die Begegnung mit anderen Menschen", das sei wesentlich für ihr Leben, und das sei auch der Motor ihrer Kunst:
"Im stillen Kämmerlein, völlig ohne Input könnte ich derzeit keine interessanten Dinge hervorbringen. Ich sehe mich vielleicht so ungefähr mit siebzig in den Wald hinausgehen, vielleicht von einem Hund begleitet, dann gehe ich wieder zurück und schreibe. Vorläufig jedoch ist das Gegenüber für mich unverzichtbar, um etwas zu schöpfen."
Arzt als Inspiration zum Buch
Soeben hat Julya Rabinowich nach ihrem viel gepriesenen Roman-Erstling "Spaltkopf" ihr zweites Buch "Herznovelle" vorgelegt, in dem sie die einschneidende Begegnung mit einem Arzt schildert. Seit langem sei ihr Leben von Krankenhäusern und vom Umgang mit Ärzten geprägt, erklärt Rabinowich. Zum einen laborierte die Schriftstellerin selbst an einer Herzkrankheit, zum anderen arbeitete sie bis vor kurzem als Simultandolmetscherin für das "Hemayat"-Beratungszentrum im Wiener Integrationshaus, das Kriegsversehrte und Hinterbliebene von Folteropfern betreut.
Julya Rabinowich begleitete ihre Klienten auch oft in Spitäler; ein bestimmendes Erlebnis war eines Tages die Begegnung mit einem besonderen Menschen: jenem Arzt, der sie zu ihrem Buch inspirierte: "Ich fand diesen Menschen in jeder Hinsicht schön, ich war von Anfang an, von den ersten Begegnungen an, von dieser Schönheit überzeugt. Ich meine, Schönheit sowohl im moralischen als auch in jedem anderen Sinn. Ich hatte das Gefühl, das hielt sich die Waage, und das habe ich sehr selten so erlebt: diese Gleichgewichtung von inneren und äußeren Faktoren."
Die "Schönheit des Handelns"
Am augenscheinlichsten war die "Schönheit des Handelns", so Julya Rabinowich: "Ich hatte das Gefühl, dass dieser Arzt die Patienten in besonderer Art behandelt hat. Ihr Leiden hat ihn berührt, und er hat den wunderbaren Satz gesagt: 'Man kann nicht allen Patienten helfen, aber man darf sie nicht alleine lassen.' Wie viele Leute denken so und handeln auch danach?"
Der Gedanke liegt nahe, dass hier womöglich ein Arzt-Bild hochgehalten wird, wie man es etwa aus Groschenromanen kennt, doch Julya Rabinowich schildert die Begegnung in ihrem Buch völlig frei von Kitsch und sentimentaler Attitüde. Der Arzt in der "Herznovelle" ist im Gegenteil ein Mann, der nur funktioniert, einer, der nicht wirklich mitfühlt und nicht begreift, dass die herzkranke Patientin auch unter Herzbeschwerden im übertragenen Sinn leidet. Als "Gott in Weiß", als einen, der über Leben und Tod entscheidet, sieht Rabinowich "ihren" Arzt nicht, er sei vielmehr wie jener Fährmann aus der Sagenwelt, ein Begleiter zwischen zwei Welten.
"Der Fährmann entscheidet nicht über Leben und Tod, der Fährmann bringt einen rüber oder nicht. Ärzte, vor allem natürlich Intensivmediziner, stehen an der Grenze zwischen Leben und Tod und vollführen gewissermaßen Vermittlungsarbeiten."
Nähe zu Krankheit
Die 40-jährige Autorin Julya Rabinowich verarbeitet mit ihrer Begegnung auch ihre lebenslange Nähe zu Krankheit:
"Wenn man sehr großes Unglück spürt oder ein Leiden, dann braucht es so viel Energie, sich aus diesem Zustand emporzuheben! Der Körper und der Geist wollen das so sehr, weil dadurch das Überleben gesichert wird. Ich bin ganz deutlich aufs Überlegen ausgerichtet. Ich bin eine Frühgeburt und wäre in meinem ersten Lebensjahr fast gestorben, es war also von Anfang ein Kampf für mich, ein Ausdruck von: 'Ich bleibe da'."
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Hanser Verlag - Julya Rabinowich