Kritik an zu schnellem Tempo
Ägypten stimmt über Verfassung ab
Die Ägypter erleben am Samstag ein erstes konkretes Resultat des Sturzes von Präsident Mubarak. 45 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, in einem Referendum über ein Paket von Verfassungsänderungen abzustimmen. Diese sollen den Weg zu demokratischen Wahlen ebnen. Manchen geht das aber zu schnell.
27. April 2017, 15:40
Mittagsjournal, 19.03.2011
Reformer wollen mehr Zeit
Die Verfassungsänderung soll unter anderem Hürden für Präsidentschaftskandidaten und politische Parteien abbauen. Nach dem Plan des regierenden Militärrats soll es anschließend im Juni Parlamentswahlen und im August Präsidentenwahlen geben. "Es geht alles viel zu schnell!" protestieren große Teile der Reformbewegung. Sie haben sich für ein Nein im Referendum stark gemacht. Warum, das erläutert die ägyptische Politologin Rabab el Mahdi, die auf Einladung des Instituts für Internationalen Dialog VIDC in Wien war.
Tempo begünstigt Etablierte
Ein Referendum erscheint einfach: Ja oder Nein. Gewinnt Ja, gibt es in wenigen Monaten Parlaments- und Präsidentenwahlen. Der gewählte Präsident ernennt dann eine hundertköpfige Kommission, die bis zum Herbst eine neue Verfassung entwirft. Mit großer Geschwindigkeit würden so Tatsachen geschaffen, die die große Mehrheit der Ägypter nicht mitgestaltet, sagt Rahbab el Mahdi, junge Professorin an der amerikanischen Universität in Kairo. Je früher Wahlen stattfinden, desto mehr begünstige das jene politischen Gruppen, die bereits etabliert sind: "das heißt die bisher regierende Partei des alten Regimes, die NDP, und - weniger, aber auch - die Muslimbrüderschaft. Aber alle anderen Interessensgruppen, die noch nicht organisiert sind, noch keine Parteien gebildet haben, brauchen viel mehr Zeit um sich zu formieren und Anhänger zu gewinnen."
"Gesunde" Ungewissheit
So gab es im Vorfeld massive Kampagnen, eine für Ja, die andere für ein Nein: "wie in einer Demokratie, wo es viele Meinungen gibt! Und das ist großartig. Auch wenn ich für Nein kämpfe - was immer herauskommt: Es ist gesund, dass es zwei Ideen gibt und keine Gewissheit. Bisher war bei jeder Wahl von vorneherein klar, was herauskommt, lächelt Rabar el Mahdi.
Der Demokratiebewegung gehen die Verfassungsänderungen nicht weit genug. "Sie schränken die Macht des Präsidenten nicht ein, tun nichts zu einer demokratischen Gewaltenteilung, und geben der Demokratiebewegung keine Zeit, eigene Parteien zu gründen."
Für längere Übergangszeit
Das Referendum befasse sich mit kleinen Details, kritisiert auch Nobelpreisträger El Baradei, der immer mehr zu einer führenden Figur der Demokratiebewegung wird. Auch Rabab el Mahdi ist für den Vorschlag von El Baradei: eine längere Übergangszeit, Parlamentswahlen am Ende des Jahres, und daraus hervorgehend ein verfassungsgebendes Komitee, das alle Bevölkerungsgruppen vertritt und eine neue Verfassung schreibt.
Und was, wenn allen Kampagnen zum Trotz das Ja gewinnt? "Wir werden das natürlich akzeptieren, weil es unsere ersten freien Wahlen sind. Wenn Ja gewinnt, werden wir neue Kampagnen starten, um die Wahlen bis zum Jahresende zu verschieben." Wir haben die Erfahrung gemacht, sagt Rarab el Mahdi, dass kollektiver Druck von unten, die Dinge in jede Richtung verändern kann. Und wenn wir genügend Druck machen, dann werden wir auch erreichen, dass die Wahlen verschoben werden. Sie sei optimistisch, sagt sie - um einiges leiser allerdings.