Interview mit "Zeit"-Chefredakteur

Medienlandschaft im Wandel

Die Medienlandschaft ist im Wandel. Das Gesetz der Stunde heißt "sparen" - auch der ORF wird ja davon bekanntlich nicht verschont. Wenn man allerdings hinter die Kulissen schaut, bietet sich möglicherweise ein anderes Bild. Beispiel: Die renommierte deutsche Wochenzeitung "Die Zeit". Das Ö1 Mittagsjournal hat deren Chefredakteur Giovanni di Lorenzo getroffen.

Mittagsjournal, 01.04.2011

Online-Inhalte bringen kein Geld

Lange hat Giovanni di Lorenzo den Eindruck gehabt, der Leiter eines Museums zu sein, "weil Verleger und Geschäftsführer - jedenfalls in Deutschland - allen und jedem und zur unpassendsten und passendsten Zeit erklärt haben, das Medium der Zukunft ist ein andere: online. Das ist schon aus Marketing-Gesichtspunkten sehr schwer nachzuvollziehen, wenn man den Leuten ständig sagt: Schön, wenn du für die Zeitung Geld bezahlst, aber das modernere Medium ist ein anderes und es kostet auch nichts. Inzwischen sind diese Stimmen verstummt. Man sieht, dass journalistische Inhalte online leider noch einen großen Nachteil haben: Sie bringen kein Geld."

Inzwischen geht es einigen Zeitungen sehr gut, "Die Zeit" jedenfalls erlebt einen Höhenflug: "'Die Zeit' hat die höchste Auflage in ihrer Geschichte und auch die höchsten Gewinne und Umsätze." In Auflagezahlen bewegt man sich im Bereich einer halben Million.

Lange, geistig anspruchsvolle Artikel

Das mag umso paradoxer klingen, wenn man bedenkt, dass "Die Zeit" ihren Lesern einiges zumutet: lange, geistig anspruchsvolle Artikel, die Exemplare sind sehr voluminös - also eigentlich das Gegenteil von dem, was gern kolportiert wird, nämlich dass die Information schnell auf den Punkt gebracht werden muss, dass die Menschen weniger lesen und trotzdem schnell und umfassend informiert werden wollen.

Das drückt sich etwa in Österreich mit Kleinformaten und Gratiszeitungen aus. "Den Weg der Gratiszeitung sind wir in Deutschland nicht gegangen", so Di Lorenzo. "Und ich glaube das hat auch Vorteile, weil wenn man Inhalte verschenkt, hat man das Gefühl, sie sind nicht mehr wertvoll. Das zweite ist: Journalismus, der unabhängig ist, der den Mächtigen auch weh tut, der die Interessen der Bürger vertritt, der kostet eine Menge Geld und das kann man nicht nur über die Abhängigkeit von Anzeigenkunden finanzieren."

Verschiedene Geschwindigkeiten

Natürlich sind elektronische Medien und der Online-Bereich viel schneller - z.B. wenn man an den zerstörten japanischen Atommeiler Fukushima denkt, oder die Revolutionen in arabischen Ländern: Dort überschlagen sich ja die Ereignisse fast stündlich. Allerdings wird der User, ob der immensen Flut an Informationen völlig überfordert, zumal viele Informationen gar nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden können.

Auch da haben Printmedien eine Rolle zu spielen: "Die Verunsicherung, das Bedürfnis einzuordnen, was man da gerade sieht - diesem Bedürfnis können wir durch unsere Blätter sehr wohl entgegen kommen."

Meinungsbildung ermöglichen

Dazu kommt, dass ein Blatt wie "Die Zeit" auch Themen vorgibt, aktuelle Diskussionen, mit durchaus kontroversiellen Standpunkten. Wie funktioniert das? "Es gibt praktisch keine politische Frage, in der wir uns einig sind. Diesen Meinungskonflikt tragen wir auch ganz offen aus. Es gibt eine legendäre Figur bei der 'Zeit', die leider vor ein paar Jahre gestorben ist, Gräfin Marion Dönhoff. Sie hat den schönen Satz geprägt: Wir möchten den Leser nicht indoktrinieren, wir möchten ihm die Mittel an die Hand geben, damit er sich eine eigene Meinung bilden kann. Eine eigene Meinung kann man sich nur bilden, wenn man unterschiedliche Standpunkte kennen lernt."

Wie der auch kommerzielle Erfolg der "Zeit" zeigt, ist eine eigene Meinung den Menschen zumutbar.

Textfassung: Rainer Elstner

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