Buch und Diskussionsrunde

Österreichs Kunst der 60er Jahre

Die österreichische Kunst der 60er Jahre ist das Thema eines Buches, das gestern in der Kunsthalle Wien präsentiert wurde. Gespräche mit 50 Künstlern und Künstlerinnen dieser Zeit sind in dem über 600 Seiten starken Wälzer versammelt. Wobei der Anteil der Frauen sehr gering ist: Es sind nicht mehr als sechs.

Um die Stellung der Frau in der österreichischen Kunstszene der 1960er Jahre ging es dann auch bei der Diskussion, die am 5. April 2011 im Rahmen der Buchpräsentation stattfand. Aber auch um das Lebensgefühl und die künstlerische Inspiration dieser Zeit, um die Entwicklung der abstrakten gestische Malerei oder den Aktionismus, die sich damals als innovative Strömungen herauskristallisierten.

Am Podium saßen einige der Protagonisten der österreichischen Kunst der 1960er Jahre: die Fotografin und Modeschöpferin Elfie Semotan, der Maler Christian Ludwig Attersse, der Filmemacher Peter Kubelka und der Künstler und langjähriger Rektor der Akademie für Angewandte Kunst, Oswald Oberhuber.

Kulturjournal, 06.04.2011

Supermarkt Kunstmarkt

Im lässig-chicen Outfit saßen sie da auf der Bühne, die Revoluzzer der 60er Jahre: graumeliert bis weißhaarig, aber gut in Form. Peter Kubelka meinte gleich eingangs, eine Geschichte der 60er könne es nicht geben, das sei ein Mythos. Es gebe einfach ganz viele Geschichten, so wie jeder einzelne die Zeit erlebt habe. Für ihn ist es klar: Damals war die Zeit schöner und die Kunst war besser. Heute sei der Kunstmarkt wie ein Supermarkt. "Wenn was heute in Ordnung ist, ist es versteckt unter dem Müll, der den Großteil des Kunstbetriebes ausmacht", so Kubelka.

Heute hat man 700 Freunde auf Facebook, in den 60ern waren es fünf reale. Aber man wusste warum. Der 80-jährige Oswald Oberhuber versäumte nicht die Gelegenheit, dem 77-jährigen Kubelka gleich zu erwidern, Kunst könne man nicht mit Obst vergleichen.

Kunst für Künstler

Auch wenn hier gleich das Konfliktpotential der Künstlerschaft aufkeimte, entlarvte es Christian Ludwig Attersee als Legende, dass die Künstler damals untereinander nur zerstritten waren. Er sagte, die Reibereien machten aus der Künstlerschaft eine eingeschworene Gemeinschaft: "Auch die Feindschaft hat was Positives gehabt. Man hat sich ja trotzdem getroffen. Künstler haben damals Kunst hauptsächlich für Künstler gemacht, denn das war unser Publikum", denn Käufer seien rar gewesen. "Jeder hat damals fast jeden gekannt und das geht in Wien heute schon ab."

Die Fotografin Elfie Semotan erinnert sich an eines von Arnulf Rainers übermalten Bildern, das ihr zu ihrer Verwunderung gefallen habe. "Das war so ein Schritt, irgendwohin, von dem ich vorher gar nicht gewusst habe, dass es überhaupt existiert."

Überbetonter Aktionismus

Einen anderen Mythos der Kunstgeschichtsschreibung zerstörte Oswald Oberhuber, wenn er sagte, "dass man den Aktionismus überbetont und so tut wie wenn das die große österreichische Leistung ist, da kann ich mich nicht anschließen. Da gibt es wirklich bedeutendere und wichtigere Vorgänge."

Er meinte, der Wiener Aktionismus habe mit seinen Skandalen einfach ungeheures Zerstörungspotenzial bewiesen und sei nur deshalb so stark von der Öffentlichkeit rezipiert worden. Im Vergleich zu den Aktionisten seien die übrigen Künstler fast verzopft gewesen.

Kaum genug zum Überleben

Eines ist klar, es hat sich viel bewegt in dieser Zeit, als viele noch Hunger hatten. So erinnert sich Attersee an ein Happening in der Galerie Nächst St. Stephan, bei dem Hermann Nitsch mit ernster Miene ein totes, gerupftes Huhn an einer Schnur durch die Ausstellungsräume zog. Nach der Kunstaktion briet und aß er das von den zahlreichen Besuchern total zertretene Huhn zusammen mit Nitsch. Sie hatten solchen Hunger.

Auch Peter Kubelka erinnert sich: Er konnte hier nach einiger Zeit nicht mehr existieren und sei deswegen nach Amerika gegangen. Er war 1956 bei der Biennale und 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel, aber "ich konnte mir meine Gulaschsuppe nicht zahlen".

Und die Frauen?

Zu der schwierigen Stellung der Frauen in der Österreichischen Künstlerschaft bemerkten die Herren am Podium unbeeindruckt und salopp: "Zeit der Musen ist immer."

Textfassung: Ruth Halle

Service

Österreichisches Parlament (Hg.), "Österreichs Kunst der 60er Jahre: Gespräche", Verlag f. mod. Kunst