Von Faust- und Schicksalsschlägen

Boxerfilme made in Hollywood

Es gibt ein unausgesprochenes Gesetz in Hollywood: Will man einen Oscar kassieren, dann dreht man am besten einen Boxerfilm. Tatsächlich hat sich das Sportfilmgenre mit den fliegenden Fäusten und dem perfekt ausgeleuchteten Ring innerhalb der letzten Jahrzehnte zur Bühne für die wichtigsten Charakterköpfe und originellsten Regisseure Hollywoods gemausert.

Martin Scorsese, Sylvester Stallone und Darren Aronofsky - sie alle haben bereits Geschichten von Faust- und Schicksalsschlägen inszeniert; diese Woche folgt ihnen der amerikanische Regisseur David O. Russell in die Boxkampfarena: Sein Familiendrama "The Fighter" erzählt von zwei Brüdern aus Massachussetts, die im Ring um Geld, Ehre und Unabhängigkeit kämpfen. Vergangenen Februar wurden die Nebendarsteller Christian Bale und Melissa Leo für ihre herausragenden Leistungen in "The Fighter" mit jeweils einem Oscar ausgezeichnet.

Auf- und Abstieg

Durchschlagen und anpacken: In der Arbeiterklasse der kleinen Industriestadt Lowell in Massachusetts hat man nicht viele Möglichkeiten, wenn man von unten nach oben kommen will. Das weiß auch Micky Ward. Der jüngere Sohn aus einer Großfamilie irischer Einwanderer will sich im Boxsport einen Namen machen. Genau wie sein älterer Halbbruder Dickie: In der 1970ern ist er der "Der Stolz von Lowell", nachdem er seinen Gegner Sugar Ray Leonard K.O. schlägt.

Gute zehn Jahre nach seinem Triumph ist Dickie selbst K.O. gegangen; er ist Kokain- und Crack-abhängig, vegetiert in einem baufälligen Haus vor sich hin - und versucht, seinen Bruder Micky zu trainieren. Mit bescheidenem Erfolg. Als Micky das Interesse eines neuen Managers erweckt, kehrt er seinem Halbbruder und seiner Mutter den Rücken– und boxt sich bis zur Weltmeisterschaft durch.

David O. Russells "The Fighter", der auf den Lebensgeschichten von Micky Ward und Dicky Eklund basiert, ist virtuos inszeniert: Während die Sequenzen im Familienhaus und auf den Straßen Lowells in intensive Farben getaucht sind, wirken die Boxkämpfe flächig und leicht unscharf. Regisseur Russell hat für diese Einstellungen exakt dieselben Videokameras ausgeforscht und verwendet, die in den 1970er und 80er Jahren Standard waren.

Scorseses Meisterwerk

"The Fighter" geht damit denselben Weg wie viele andere Boxerfilme vor ihm: Die mutmaßliche Primitivität des Kampfes und die rohen Charaktere der Kämpfer selbst werden mit extremer Stilisierung und Verfremdungseffekten kontrastiert. Überhaupt gibt sich dieses Genre oft und gern dialektisch: Die professionellen Karrieren der Spitzensportler werden mit ihren oft desaströsen Privatleben und destruktiven Charaktereigenschaften gegengelesen. Im Besonderen trifft das auf Martin Scorseses "Wie ein wilder Stier zu". Basierend auf dem Leben von Boxer Jake LaMotta, inszeniert der amerikanische Edel-Regisseur ein Psychogramm in schwarz-weißen Bildern. Über einen Mann, der seine Gewalt und Gewaltfantasien nicht unter Kontrolle bekommt – und darüber letztendlich seine Familie verliert.

"Wie ein wilder Stier" gilt immer noch als einer der besten Sportfilme aller Zeiten: Martin Scorsese gelingt es, den Boxkampf als Verlängerung, oder vielleicht sogar Schlussphase in LaMottas Gewaltbiografie einzuweben. Im hell ausgeleuchteten Ring, der für sich selbst genommen eine Art von Bühne oder sogar Leinwand ist, verdichten sich die Leitmotive des Films auf einen Zweikampf.

Zu diesem Zeitpunkt sind die halbnackten, muskulösen Körper schon viel mehr als nur Fleisch, sind aufgeladen mit den Schicksalsbiografien, Seelenwunden und Charakterschwächen der jeweiligen Figur.

Selbiges gilt für einen weiteren Klassiker des Boxerfilms: John G. Avildsens "Rocky" lanciert nicht nur die Karriere von Hauptdarsteller Sylvester Stallone, sondern bekräftigt auch den uramerikanischen Mythos, dass jeder vom Tellerwäscher zum Millionär werden kann.

Spielwiese für Außenseiter

Der Boxerfilm befindet sich überhaupt fest in den Händen von Außenseitern: Es sind die Armen, Hässlichen, Vulgären und Gewöhnlichen, die hier letztendlich den Sieg davon tragen oder die Niederlage einstecken, die mit ihren Körpern kommunizieren. Die oberen Zehntausend zeichnet das Genre für gewöhnlich als gierige und zutiefst unmoralische Kapitalisten, die den Boxerkörper nur als Investment ansehen.

Während diese Dramaturgie auch in anderen Subgenres des Sportfilms zum Tragen kommt, wird sie selten konkreter formuliert als in den Ringkampf-Dramen. Etwas Rohes und Unvermitteltes treibt die Rockys und Fighters dieser Welt an: Ihre bis zur Perfektion getrimmten Körper müssen funktionieren, und tragen die Seelenwunden des Kämpfers dennoch offen vor sich her. In David O. Russells "The Fighter" strahlt Mark Wahlbergs gestählter Body Kraft und Virilität aus, während das geschundene Äußere seines drogensüchtigen Halbbruders dessen Verfall auf die Leinwand wirft.

Das Leben in zwölf Runden

"The Fighter" greift viele Axiome des Boxerfilms auf und macht sie für sich verwendbar: Einmal mehr begegnet man einer Arbeiterklassefamilie, einmal mehr zittert man mit einem Außenseiter, einmal mehr verschleppt sich das Persönliche in den Ring. Schuss und Gegenschuss treffen auf Schlag und Gegenschlag. Der Boxkampf selbst wirkt in "The Fighter" wie eine zusätzliche Realitätsebene, wie ein Traum, vielleicht auch wie ein Drogenrausch. Zwölf Runden, die die Wirklichkeit vergessen machen; und vielleicht gerade deshalb das Leben selbst sind.

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