Big Bill Broonzys Gitarre
Hans Theessink über den Blues
"Für mich ist eine Begegnung ein emotionelles Erlebnis. Man begegnet einem Menschen oder einer Sache, und es läuft einem kalt über den Rücken, es ist nicht nur so ein hello-goodbye und fertig, sondern es muss dich erfassen." Hans Theessink, Bluesmusiker mit Leib und Seele.
8. April 2017, 21:58
Hans Theessink, Blues-Musiker
"Diese Musik ist mir direkt ins Herz gegangen."
Wenn der gebürtige Niederländer von einer Begegnung spricht, die ihn erfasst und nicht mehr losgelassen hat, dann meint er jenen bestimmten Moment in seinem Leben, als ihm zum ersten Mal die Musik begegnete. Es war in den späten 1950ern, Anfang der 1960er Jahre. Vor der Küste Hollands kreuzten zu der Zeit zahlreiche Schiffe mit Piratensendern, die Musik abseits des Mainstream sendeten. Eines Tages gelangte der Blues an die Ohren des heranwachsenden Knaben:
"Es war eine Zeit, wo akustische Gitarre en vogue war, die Zeit von Donovan, Pete Seeger, Bob Dylan, Peter, Paul und Mary. Plötzlich habe ich eine Musik gehört, wie ich sie noch nie gehört hatte."
"Überwältigender" Big Bill Broonzy
William Lee Conley - "Big Bill" - Broonzy, so hieß der schwarze Sänger und Gitarrist, der direkt aus den Baumwollfeldern von Mississippi gekommen war und zum Star der afroamerikanischen Roots Music wurde, und der als erster schwarzer Musiker nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Europa auftrat. Hans Theessink verstand zwar die Texte Big Bill Broonzys nicht, seine Sprache wirkte aber auch ohne Worte:
"Big Bill Broonzy hat einen Südstaatenslang gesungen, der eigentlich unverständlich für mich war, aber diese Musik ist mir direkt ins Herz gegangen, die Haare auf den Armen gingen hoch und Schweiß ist mir kalt über den Rücken runtergelaufen. Diese Gitarre wurde mit wahnsinnig viel Ausdruck gespielt, mit dem Daumen hat Big Bill die Bässe bewegt, mit den anderen Fingern die hohen Saiten, wie ich später erfahren habe. Es war überwältigend."
Beste Akustik am Klo
Hans Theessink beschloss, sich dieser Musik anzunähern, sich den Blues zu erarbeiten. In der Toilette seines Elternhauses im niederländischen Enschede fand er - aufgrund der gekachelten Wände - die beste Akustik zum Gitarre-Üben vor. Auf weitere Hilfsmittel konnte er nicht hoffen:
"Ich hab gar nicht gewusst, was der Broonzy eigentlich genau macht, ich hatte nur ein Musik-Gefühl. Es gab keinen Lehrer, keine Bücher, kein Internet oder DVDs. Nicht einmal die Kassette war damals erfunden!"
Die Gitarre im Schrank
Theessinks Ziel war es - wie Big Bill - aus einem Akkord immer wieder neue Klangfarben herauszuholen. Wenn Broonzy spielte, entstand der Eindruck, es wären mindestens drei Gitarristen zu hören, schwärmt Theessink. Mit Freunden gründete er eine Band und ging jahrelang auf Reisen - um sich seinem großen Ziel zu nähern:
"Irgendwann sind meine Platten bei einem Label namens Chicago Flying Fish herausgekommen, und der Plattenboss, Bruce Kaplan, hat von meinem Faible gewusst. Und: Er hat gewusst, wo die Gitarre von Big Bill Broonzy steht, in der Old Town School of Folk Musik. Dort hat Bruce als Hausmeister geputzt - die Musiker mussten damals auf die verschiedenste Weise über die Runden kommen. Wir sind also dort die Stiegen hoch, oben war ein Riesenschrank, da war Big Bill Broonzys Gitarre. Sie war staubig, die Saiten waren rostig, aber für mich war es die romantische Begegnung mit der Gitarre jenes Mannes, der mich zur Musik gebracht hat. Ich habe sie in meinen Händen gehalten, sie angeschlagen, und es war, als ob seine Seele noch drinnen wäre. In einem berühmten Club, dem Green Mill an der Nordseite Chicagos, durfte ich sie einmal spielen. Laut Barmann hat dort einst sogar Al Capone seine Zeit verbracht, er sei auf dem einzigen Sessel gesessen, von dem er gleichzeitig beide Türen beobachten konnte."
Universeller Blues
Soeben ist unter dem Titel "Big Bill's Guitar" eine Biografie Hans Theessinks erschienen, zu der Michael Köhlmeier das Vorwort schrieb. Autor Dietmar Hoscher dokumentiert im Buch auch die Geschichte dieser bleibenden Begegnung. Big Bill Broonzy starb übrigens lange, bevor sein großer Verehrer Hans Theessink seine Gitarre in der Hand hielt, doch die Seele aus den weiten Baumwollfeldern Mississippis lebt weiter:
"Ich glaube, man muss nicht aus den Südstaaten kommen oder schwarz sein, um Blues spielen zu können. Bei einer erdigen Knöpflharmonika in der Steiermark oder einem guten Wienerliedsänger spüre ich auch etwas Bluesiges. In jeder verwurzelten Musik ist der Blues universal enthalten. Gute Musik hat immer einen bluesigen Ton, glaub ich."
Service
Dietmar Hoscher, "Big Bill's Guitar: Er hat den Blues im Blut", Echomedia Buchverlag
Hans Theessink