Putin, Medwedew: Inszenierte Konkurrenz

Schaufechten vor Präsidentenwahl?

Im März nächsten Jahres wird in Russland ein neuer Präsident gewählt. Und beide russischen Spitzenpolitiker, der amtierende Präsident Dimitri Medwedew und Ministerpräsident Wladimir Putin, wollen eine Kandidatur nicht ausschließen.

Analyse von Georg Dox

Mittagsjournal, 15.04.2011

Kontrovers kooperativ

Gibt es eigentlich ein Thema, bei dem sich das russische Machttandem noch einig ist? Zu allen wichtigen Fragen der letzten Zeit haben sich Präsident Medwedew und Ministerpräsident Putin kontrovers geäußert, gleichzeitig haben sie immer hervorgehoben, wie gut ihre Zusammenarbeit ist. Den russischen Ministerpräsidenten machen die Fragen nach dem Kandidaten für das Präsidentenamt nervös. "Wir werden hunderte Mal gefragt, wie es weitergeht", klagte Putin und bestimmt den aktuellen Kurs so: "Ich wiederhole: Weder Dimitri Medwedew noch ich schließen aus, dass wir uns der Wahl stellen. Wir gehen von den wirtschaftlichen, sozialen, politischen Realitäten aus – und entsprechend werden wir entscheiden."

Wie geht es weiter?

Eine nervöse Bürokratie, die nun nicht weiß, ob mit Putin künftig alles seinen gewohnten Gang weiter geht oder ob Medwedew in einer zweiten und letzten Amtszeit mit einer wirtschaftspolitischen Erneuerung doch ernst machen könnte, kann mit einer so vagen Antwort nicht glücklich sein. Wladimir Putin: "Natürlich, eine Entscheidung muss getroffen werden, aber wir haben noch fast ein Jahr Zeit und der Wirbel rund um die Wahl ist für die Organisation der Arbeit nicht hilfreich."

Außenpolitischer Diskurs

Bei dem Dissens im Fall Chodorkowski und bei dem Terroranschlag in Domodedowo waren es Stilfragen: "Politiker dürfen juristischen Entscheidungen nicht vorgreifen", kritisierte Medwedew Putin öffentlich, während sich der Ministerpräsident um solche Formalien wenig kümmert. Bei der russischen Libyen-Politik kritisierte Putin die Kreuzzugsmentalität des Westens und Medwedew musste dazwischen gehen, weil die Außenpolitik laut Verfassung eben Sache des Präsidenten und nicht des Ministerpräsidenten ist. Zu diesem außenpolitischen Streit zwischen Putin und Medwedew meint die Politologin Mascha Lipman vom Carnegie Zentrum in Moskau: "Ein Teil der russischen Elite verliert gerade viel Geld in Libyen, in der Rüstungsindustrie und in der Erdölförderung, ohne viel Aussichten auf Kompensation. Für die musste Putin das sagen – auch für den konservativen Flügel der russischen Gesellschaft."

Nicht mehr als Optik?

Realpolitisch ist Medwedew gefolgt, und hat mit seiner Enthaltung die UNO-Resolution ohne Verzögerung durchgewunken – ohne dafür einen hohen politischen Preis zu verlangen. Substantieller, weil es hier tatsächlich um Macht und sehr viel Geld geht, ist die Aufforderung Medwedews gewesen, Putin müsse seine Minister aus den Konzernspitzen abziehen. Damit hat Medwedew auch die graue Eminenz des Putin-Lagers ins Visier genommen, den stellvertretenden Ministerpräsidenten Igor Setschin, der beim größten russischen Ölkonzern Rosneft das Sagen hat. Auch hier kann man einwenden: Medwedews Vorstoß sei nur eine Frage der Optik. Die großen Staatsbetriebe und Banken bleiben ja weiterhin unter staatlicher Kontrolle. Medwedew will mit dem Schritt wohl deutlich machen, dass er genau verstanden hat, wo man ansetzen müsste, wollte man Filz, Korruption und Stagnation wirksam bekämpfen.

"Medwedew für den Westen ausgesucht"

Handelt es sich also um einen realen Konflikt an der russischen Staatsspitze oder um ein Schaufechten, das für einen nicht existierenden Wahlkampf entschädigen soll? Mascha Lipman: "Mir scheint wichtig, im Auge zu behalten, dass der wichtigste Mann in Russland Wladimir Putin bleibt. Medwedew als der jüngere, weichere, mit liberaler Rhetorik, ohne KGB-Vergangenheit ist ja eine Wahl von Wladimir Putin. Putin hat ihn für den Westen ausgesucht."

Die Kontroverse hält die russische Öffentlichkeit in Spannung. Überraschungen sind nicht ausgeschlossen. Das letzte Wort aber dürfte Ministerpräsident Putin haben.