Kein Umdenken nach AKW-Katastrophen
Machtpolitik mit Atomenergie
25 Jahre nach Tschernobyl und nur wenige Wochen nach der Katastrophe im japanischen AKW Fukushima setzt Russland nach wie vor auf Atomstrom. Im eigenen Land soll der Atomstrom-Anteil steigen, aber Atomkraftwerke sollen auch Exportprodukt werden.
27. April 2017, 15:40
Mittagsjournal, 20.04.2011
AKW wird ausgebaut
In der sprichwörtlichen Weite des Landes taucht die Stadt aus dem Nichts auf: Udomlja, eine 41.000 Einwohner zählende Gemeinde am Rande von drei dominierenden Kühltürmen. Die Stadt hat nur einen Existenzgrund und nur einen Arbeitgeber, das nahegelegene Atomkraftwerk Kalininskaja. Das Kraftwerk 330 Kilometer nördlich von Moskau versorgt die russische Hauptstadt, Petersburg und weitere Gebiete mit Strom. Es verfügt über vier Blöcke, Block eins und zwei wurden 1984 und 1986 fertiggestellt, dann, nach einer, wie man hier sagt, "politischen und wirtschaftlichen Pause" kam 2004 der dritte Block ans Netz, und heuer soll der vierte Block hochgefahren werden.
Versicherungen der Öffentlichkeitsarbeit
Eine Tafel mit Präsident Medwedjews Bekenntnis zum Atomstrom wirkt nach Beschwörung und schmückt den Schauraum. "Wir befinden uns hier auf der baltischen Platte und damit im erdbebensichersten Gebiet Europas. Wirbelstürme und Tornados brauchen Küstennähe, um entstehen zu können. Gegen Terroranschläge sichert uns das Militär, außerdem befinden wir uns in einer Flugverbotszone", versichert Tatjana Iwanowa. Sie ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und weiß, was die Besucher beschäftigt.
30 Jahre und noch 15 mehr
Dass die Blöcke eins und zwei schon fast 30 Jahre am Netz sind und damit bald an ihr Laufzeitende kommen, sieht der einer der Cheftechniker, Igor Solomasow, gelassen: "Es gibt ein Projekt zur Verlängerung der Laufzeiten der Reaktoren." Und auf Nachfrage meint er: "Für weitere 15 Jahre, in dieser Größenordnung. Ja für 15 Jahre."
Atomstromanteil soll steigen
Egal ob Tschernobyl oder Fukushima - Russland setzt auf Atomstrom und will Atomtechnologie und Atomstrom verkaufen. China, Indien, der Iran gehören zu den Kunden, Weißrussland und Bulgarien sind ebenfalls dabei. Über den eigenen Anteil an Atomstrom im russischen Energiemix kommt es zwischen dem technischen Direktor des Kraftwerks und der Vertreterin des staatlichen Atomkonzerns Rosatom zu einer kleinen Kontroverse: "16 bis 17 Prozent ist eine Perspektive", meint Direktor Kanyschew, "das wollen wir bis 2015 erreichen." Auf Zuruf muss er sich korrigieren: "25 Prozent bis 2020".
Energie- als Machtpolitik
Wie auch immer: 17 Prozent ist die offizielle Zahl von Rosatom, wenn man nach dem Anteil von Atomstrom im russischen Netz fragt; und dass es mehr werden soll, ist klar der Wunsch der russischen Regierung. Putin hat als Präsident erkannt – und daran hat sich bis heute wenig geändert – dass man mit Energie sehr gut Politik machen kann. Russland braucht die Atomindustrie ohnehin für Rüstungszwecke. Wenn man mit Energieexporten gutes Geld verdienen kann, gehören Kraftwerke und Atomstrom eben auch zum Angebot.