Laura Escalada Piazzolla im Gespräch

Sakrosankter Tango

Maria ist aus Buenos Aires. Der Tango, die Nacht und die fatale Leidenschaft machen ihr Wesen aus. Maria ist die Personifizierung der argentinischen Hauptstadt - als Protagonistin der Tango-Oper "Maria de Buenos Aires", die Astor Piazzolla komponierte und die im Jahr 1968 in Buenos Aires uraufgeführt wurde.

Kulturjournal, 20.04.2011

Maria ist aus Buenos Aires. Der Tango, die Nacht und die fatale Leidenschaft machen ihr Wesen aus. Maria ist die Personifizierung der argentinischen Hauptstadt - als Protagonistin der Tango-Oper "Maria de Buenos Aires", die Astor Piazzolla komponierte und die im Jahr 1968 in Buenos Aires uraufgeführt wurde.

"Maria de Buenos Aires" ist Piazzollas Opus Magnum - so viel ist klar, doch dann tauchen schon Fragen nach der Einordnung des Werkes auf: Ist "Maria de Buenos Aires" ein Oratorium, eine Operita oder eine Oper? Ist das Genre nun Tango, Jazz, E- oder U-Musik? Solche Kategorisierungen setzten dem zweifellos genialen Komponisten und Bandeonisten Astor Piazzolla Zeit seines Lebens zu.

Augenmerk auf junges Publikum

Lauter junge Leute wirkten letzten Monat bei der Produktion von "Maria de Buenos Aires" in Astor Piazzollas Geburtsort Mar del Plata mit, erzählt Laura Escalada Piazzolla. Das junge Publikum liegt der Künstler-Witwe besonders am Herzen, denn ihr erklärtes Ziel ist es, mit ihrer "Stiftung Astor Piazzolla" das künstlerische Erbe des Tango-Erneuerers lebendig zu erhalten.

In Buenos Aires empfängt Laura Escalada Piazzolla in ihrer Wohnung, die voller Fotos und Erinnerungsstücke an ihr Leben mit Astor Piazzolla ist. Die Wohnung liegt gegenüber dem Hippodrom von Buenos Aires, das Viertel ist jenes der Jockeys und Pferdebegeisterten. Die großen Fenster des Hochhauses an der Avenida del Libertador geben den Blick frei auf den Rio de la Plata.

Die Stiftung Astor Piazzolla

"Vor etwa 15 Jahren hatte ich die Idee, die Stiftung Astor Piazzolla zu gründen", erzählt Laura Escalada Piazzolla. "Ich gründete sie zunächst mit der ganzen Liebe und der Bewunderung, die ich für den Meister Piazzolla hegte. Zuerst, als ich noch nicht seine Frau war, und umso mehr, als ich ihn kennenlernte und sah, was für ein Mensch er war."

Seit der Gründung der Stiftung wird der Geburtstag des Musikers alljährlich mit einer Hommage gefeiert. Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 90. Geburtstag war eine Aufführung von "Maria de Buenos Aires" in Originalfassung durch das Quinteto Fundación Astor Piazzolla. Die Kompanie La Nouvelle danse tanzte zu Piazzollas Musik, gespielt von Argotan. Viele weitere Musiker und Tänzer interpretierten Piazzolla während eines Festivals, das auf der Initiative der Stiftung beruht, in der die Musiker-Witwe zumeist selbst die Ärmel hochkrempelt:

"Es kostet uns viel, die Stiftung zu betreiben", sagt sie, "denn die argentinische Regierung und die Stadt Buenos Aires interessieren sich überhaupt nicht für uns. Niemand hier interessiert sich für uns. Nach 15 Jahren kann ich sagen, dass alles, was wir bisher gemacht haben, aus unserer eigenen Initiative und aus sehr viel Arbeit entstanden ist.

Überschreitung der Genre-Grenzen

Mut und Kompromisslosigkeit sind die beiden Eigenschaften, die Astor Piazzollas Karriere überhaupt erst ermöglichten. Aus der Sicht der Kulturpolitiker ist die Überschreitung der Genre-Grenzen, die Piazzolla Weltruhm brachte, wenig wünschenswert, meint Laura Escalada Piazzolla. Von der Stadt Buenos Aires und dem argentinischen Staat fühlt sie sich allein gelassen. Und auch die konservative Einstellung der legendären "Tangueros", der eingefleischten Tangotänzer von Buenos Aires, stellt sie infrage.

"Hier müssen wir damit leben, dass die alten Tangueros sagen: Ist das überhaupt Tango? Ist das gut? Ja oder nein?", so Laura Escalada Piazzolla. "Man kann nicht zwischen zwei Stühlen sitzen. Astor Piazzolla war hier immer zwischen zwei Stühlen."

"Seiner Zeit voraus"

Vier Jahre war er alt, als er mit seiner Familie aus wirtschaftlichen Gründen von Buenos Aires nach New York emigrierte. Als Neunjähriger spielte er eine kleine Rolle als Zeitungsjunge in dem Film "El día que me quieras" neben dem Tango-Großmeister Carlos Gardel. Ebenso wie Gardel verwandelte auch Piazzolla das Image des Tangos in der Weltöffentlichkeit. Heute zählt man jedenfalls zwei Perioden im Tango: jene vor und jene nach Piazzolla.

"Für ihn war es eine einzige Periode, denn er war seiner Zeit voraus, oder vielmehr: Für ihn waren das keine Periode, es war sein Leben", so Laura Escalada Piazzolla. "Er war seiner Zeit voraus, und er sagte auch immer: 'Ich schreibe für die jungen Leute.' Und er hatte recht."

Vorbild Bach

Piazzolla wird in Konservatorien und Universitäten weltweit von jungen Leuten gespielt. Zu Konzerten mit Piazzolla-Kompositionen strömt das Publikum mit schöner Regelmäßigkeit, dennoch wird Piazzolla von manchen Musikern als unspielbar abgetan.

"Er beschäftigte sich sehr intensiv mit Musik, er war einer der wenigen, die das tun", Laura Escalada Piazzolla. "Deshalb ist es auch nicht so leicht, Piazzolla zu spielen. Man muss die Musik kennen, man muss lernen können und die Musik genau kennen."

In seinen Kompositionen verarbeitete er Anregungen aus der Musikgeschichte. Johann Sebastian Bach ist eines der großen Vorbilder Piazzollas, ebenso wie Antonio Vivaldi. Piazzolla komponierte, inspiriert durch Vivaldi, "Vier Jahreszeiten in Buenos Aires".

Ballett zur Musik von Astor Piazzolla

"Wir waren immer im Ausland, einmal waren wir - ich erinnere mich nicht mehr, ob es in Holland oder in Frankreich war, wir waren ja an so vielen verschiedenen Orten -, jedenfalls sahen wir in fast allen Ländern, in die wir reisten, dass im Opernhaus, von den Ballettgruppen zur Musik von Astor Piazzolla getanzt wurde", erzählt Laura Escalada Piazzolla. "Immer hieß es: 'Musik: Astor Piazzolla'. Also sagte Astor eines Tages zu mir: 'Ich verstehe das nicht, in Argentinien heißt es, man kann zu meiner Musik nicht tanzen, und hier tanzen alle zu meiner Musik!'"

Du kannst eine Person nicht andauernd angreifen, findet Laura Piazzolla, das sei wie wenn ein Architekt ständig attackiert würde, weil er neue und andere Dinge baue. Die schönsten Bauwerke der Welt würden nicht existieren, wenn das gemacht worden wäre, sagt die Künstler-Witwe.

"In Argentinien kannst du alles angreifen, nur nicht den Tango, sagt Laura Escalada Piazzolla. "Du kannst die Mutter angreifen, aber nicht den Tango! Das ist wahr, man konnte den Tango nicht angreifen, das änderte sich dadurch, dass die Jugend ihn hörte. Der Jugend verdankt Astor seinen großen Erfolg; den klassischen Balletttänzern, die seine Musik auswählten, den Tänzern, die jetzt auf der ganzen Welt zu Astors Musik tanzen, und den Leuten, die daran gewöhnt sind, andere Art von Musik zu hören und die den Tango nicht als sakrosanktes Eigentum der Hauptstadt betrachten."

Auch wenn die Kulturpolitik die Stiftung Astor Piazzolla ignoriert, wird die Welt weiterhin Piazzolla hören, dessen ist sich Laura Escalada Piazzolla vollkommen sicher: "Auch wenn sie uns als Stiftung Astor Piazzolla ignorieren, werden wir uns weiterhin Piazzolla widmen, und die Welt wird weiterhin Piazzolla hören und wird Piazzolla noch viele, viele Jahrhunderte lang haben!"