Hochhäuser stabilisieren
Erdbebenarchitektur
Am 11. März 2011 wurde Japan von einem starken Erdbeben heimgesucht. Dass das Erdbeben selbst verhältnismäßig wenig Schaden angerichtet hat, liegt an der Fortschrittlichkeit Japans in punkto erdbebensicheres Bauen. Ingenieure und Architekten arbeiten in Japan seit Jahren eng zusammen, die Vorschriften sind äußerst streng, und werden regelmäßig an den neuesten Forschungsstand angepasst.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 21.04.2011
Staunende und zugleich verängstigte Menschen mit dem Blick nach oben. In Tokio bewegten sich am 11. März 2011 einige Hochhäuser, schwankten hin und her - auf der Onlineplattform YouTube finden sich mehrere Videos die das Beben in der japanischen Hauptstadt dokumentieren.
Nach dem großen Beben von 1923, bei dem ein Großteil der Häuser einstürzten und über 140.000 Menschen starben, begann in Japan eine verstärkte Diskussion darüber, wie Gebäude gebaut werden müssen, damit sie einem Erdbeben besser standhalten können. Erste einfache Bauvorschriften wurden erlassen, wie etwa die temporäre Beschränkung der Gebäudehöhe auf drei Stockwerke. Und es wurde auf massivere Bauweisen gesetzt. Die heutigen Richtlinien für erdbebensicheres Bauen sind komplex und streng, und werden kontinuierlich an den neuesten Forschungsstand angepasst. Je nach Gebiet und Baugrundverhältnissen gelten dabei unterschiedliche Bestimmungen.
Massiv heißt nicht erdbebensicher
In Japan wurde lange Zeit sehr massiv gebaut. Doch wie sich spätestens beim Kobe-Erdbeben von 1995 zeigte - eine massive Bauweise erhöht nicht unbedingt die Erdbebensicherheit. Ein 650 Meter langer Abschnitt des Hanshin Expressway kippte damals trotz massiver Stützen auf die Seite, Tausende Gebäude stürzten ein.
Als weit effektiver gilt der Einsatz von Baumaterialien mit der Eigenschaft, sich bei Überbelastung stark plastisch zu verformen. Viele Häuser in Gefahrenzonen werden heute mit elastischen Bauteilen und beweglichen Fundamenten ausgestattet. Die Erdbebensicherheit von Gebäuden hängt dabei wesentlich von deren Schwingungsverhalten ab. Um dabei - vor allem bei Hochhäusern - größere Schwingungen der Gebäude zu vermeiden, werden sogenannte Schwingungstilger eingesetzt. Sie sollen etwa von Wind oder Erdstößen erzeugte Schwingungen dämpfen und ausgleichen.
Das weltgrößte solche Tilgerpendel befindet sich im Taipei 101 in Taiwan, mit 508 Metern das zweithöchste Gebäude der Welt - in den obersten Stockwerken hängt eine 660 Tonnen schwere Kugel. Sie pendelt bei Erdstößen an Stahlseilen im Gegentakt, fängt so die gefährlichen Schwingungen ab und hält das Hochhaus im Lot. Bis zu 200 Mal pro Jahr bebt hier die Erde, trotzdem gilt der Gigant als bebensicher.
Neue Materialien und Bautechniken im Test
Wieder ein Blick auf die Videoplattform YouTube. Ein siebenstöckiges Gebäude in einer riesigen Halle. Ein Erdbebensimulator. Das Testgebäude hat den Erschütterungen standgehalten. Neue Materialien und Bautechniken werden hier getestet. Erdbebensimulatoren spielen in der Forschung eine wichtige Rolle, sind in Japan aber auch in Museen zu finden und werden im Schulunterricht eingesetzt, um die Schüler auf den Ernstfall vorzubereiten.
Und was für die Planung und Errichtung von Gebäuden gilt, gilt auch für die Gestaltung der Innenräume. Ein Dokumentarfilm gibt Tipps für die Einrichtung, ein junger Mann zeigt seine Wohnung: "Kommen Sie - hier ist das Schlafzimmer. Wir legen die Futons so, dass keine Möbel daneben stehen. In der Regel hat man im Schlafzimmer einen Schrank stehen, wir vermeiden das, damit er einen bei einem Erdbeben nicht erschlagen kann. So können wir ruhiger schlafen."
Einer UN-Studie zufolge liegen acht der zehn bevölkerungsreichsten Städte der Welt in einer geologischen Verwerfungslinie, darunter auch Tokio und New York. Gerade im dicht besiedelten städtischen Bereich ist erdbebensicheres Bauen eine der wichtigsten Vorsorgemaßnahmen. Denn wie schon japanische Schulkinder lernen:"Es ist nicht das Erdbeben, das die Menschen tötet, sondern fallende Gegenstände, einstürzende oder brennende Gebäude."