Dani Rodrik über internationale Finanzwirtschaft

Das Globalisierungs-Paradox

Es ist noch nicht so lange her, meint Dani Rodrik, da setzten sich die Globalisierungsgegner aus einer bunten Mischung von Anarchisten, Umweltschützern, Gewerkschaftern und anderen progressiv Gesinnten zusammen. Die Krawalle bei internationalen Wirtschaftsgipfeltreffen sind noch in lebhafter Erinnerung. Die Zeiten haben sich jedoch geändert, erklärt der Harvard-Professor für internationale politische Ökonomie.

"Noch vor fünf, sechs Jahren gab es einen intellektuellen Konsens über den gemeinsamen Kurs", sagt Dani Rodrik im Gespräch. "Die Welthandelsorganisation versuchte, so viele Handelsschranken wie möglich zu reduzieren; internationale Regulierungen wurden besser aufeinander abgestimmt. Auch bei den Finanzinstitutionen ging es darum, dass Kapital so frei wie möglich fließen kann. Ich glaube, dieser Konsens ist nicht nur geringer geworden. Er existiert nicht mehr."

Früher war Globalisierungsskepsis also eine Haltung von Außenseitern. Nun ist sie in den Kreisen von Ökonomen und Intellektuellen zunehmend die Norm. Der Schreck über die internationale Wirtschaftskrise 2008 sitzt noch tief in den Knochen, zumal die Folgen noch lange nicht ausgestanden sein werden.

Globalisierungsbeginn im 19. Jahrhundert

Dani Rodrik geht in seinem Buch der Geschichte der Globalisierung nach, einem Trend, der schon im 19.Jahrhundert begann; er analysiert, warum eine Art kontrollierte Globalisierung einen Großteil des 20.Jahrhunderts gut funktionierte, und was schließlich schief lief und so zum titelgebenden "Globalisierungsparadox" führten.

"Wenn man überlegt, was die Weltwirtschaft braucht, um gut zu funktionieren, dann wird klar: Die Weltmärkte stehen nicht auf ihren eigenen Beinen", so Rodrik. "Sie stützten sich auf eine riesige Infrastruktur von Regeln und Regulierungen und Standards. Und die meisten davon werden von Staaten und nicht von internationalen Organisationen oder global agierenden Unternehmen erlassen. Das Paradox ist: Einerseits braucht die Globalisierung die Nationalstaaten. Andererseits ist der Nationalstaat potenziell der Feind der Globalisierung."

Der Grund dafür: Politiker eines Staates sind ihren Wählern verpflichtet. Daher setzen sie aus innenpolitischer Notwendigkeit Handlungen etwa zur Inflations- oder Arbeitsplatzbekämpfung, die zwar im Interesse des Staates, jedoch nicht der Globalisierung liegen.

Feste Wechselkurse

Dani Rodrik plädiert in seinem Buch für eine kontrollierte Globalisierung. So war diese auch nach dem Zweiten Weltkrieg im Brettons-Wood-Abkommen angelegt gewesen. Auf der Basis des Abkommens zur Regelung des internationalen Geldwesens auf Basis fester Wechselkurse wurden die Weltbank und der Internationale Währungsfond gegründet.

"Wirtschaftspolitik ist Politik", betont Rodrik. "Und ich meine das im positiven Sinn. Wirtschaftspolitik muss auf die Wählerschaft des jeweiligen Landes Rücksicht nehmen. In einer Demokratie muss das so sein. Man braucht also ein System, das den Politikern eines Landes genug Handlungsspielraum gibt, um auf die Bedürfnisse ihrer Bürger zu reagieren. Diesen Raum muss man schaffen. Die internationalen Regeln dürfen nie so eng gefasst sein, dass die innenpolitische Handlungsfähigkeit in einem Land eingeschränkt ist."

Gefahr für die Gesellschaft

In den frühen 1970er Jahren setzten sich liberale Denkschulen durch, die Regulierungen und damit Schranken für internationale Geldströme abzuschaffen trachteten. 1973 wurde das Bretton-Woods-System und somit das System fester Wechselkurse aufgegeben. In der Wirtschaftskrise von 2008, ausgelöst durch die liberalisierten Kapitalmärkte, ließen sich Banken und Investmenthäuser aber nur zu gerne vom Staat retten. Genau genommen von den Steuerzahlern vieler Länder.

Dani Rodrik plädiert somit auch aus sozialpolitischen Gründen für eine kontrollierte Globalisierung: "Die Globalisierung löst Prozesse aus, die eine Gesellschaft potenziell auseinandertreiben. Diese Kluft öffnet sich beispielsweise zwischen jenen, die Grenzen leicht überqueren - sei es, dass sie die Ausbildung dazu haben oder die Mobilitätskosten so gering sind, und jenen, die diese Möglichkeiten nicht haben. Es sind also die gut gegen die nicht Ausgebildeten; die großen globalen Firmen gegen kleinere, auf den Inlandsmarkt ausgerichtete. Eine Regierung muss versuchen, diese Kluft zu schließen und am Zusammenhalt einer Gesellschaft zu arbeiten. Denn sonst zerfällt sie."

Machtzentren verschieben sich

Für die Zukunft ist Dani Rodrik durchaus hoffnungsfroh. Das Verhältnis zwischen Interessen der Nationalstaaten einerseits und Globalisierung andererseits werde ganz von selber eine neue Balance finden: "Die Machtzentren in der Weltwirtschaft verschieben sich sehr rasch. An erster Stelle steht dabei natürlich China. Doch auch andere Länder wie Brasilien und Indien darf man nicht vergessen. Diese Länder sind sehr verschieden voneinander, doch sie haben eines gemeinsam: Sie alle legen großen Wert auf nationale Souveränität und nationale Selbstbestimmung. In dem Maß, in dem diese Länder an Bedeutung gewinnen, wird sich das neue Gleichgewicht dahingehend einpendeln, dass Länder wieder mehr auf ihre eigenen Prioritäten achten."

Service

Dani Rodrik, "Das Globalisierungs-Paradox", C. H. Beck

C. H. Beck - Das Globalisierungs-Paradox