Mit dem Debüt-Film nach Cannes
Schleinzers "schönster Alptraum"
Eine Überraschung war die Nominierung von Markus Schleinzers Erstlingsfilm "Michael" für den Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für den Neo-Regisseur selbst.
8. April 2017, 21:58
Bis einen Tag vor der Programmbekanntgabe des Festivals war der Castingdirektor und Schauspieler noch von einer Teilnahme in der Reihe "Un Certain Regard" überzeugt, erzählte der 39-jährige Debütant im Gespräch mit der APA. Dann meldete sich sein "neuer bester Freund" aus Cannes aber noch einmal per Telefon - und bescherte dem Regie-Autodidakten den "schönsten Alptraum eines Filmemachers". Dass es überhaupt so weit kommen konnte, verdanke er nicht zuletzt Michael Haneke, so Schleinzer. Das Motto für Cannes: "Jetzt hin und durch!"
APA: Mit dem Debütfilm gleich im Wettbewerb von Cannes - haben Sie den ersten positiven Schock schon verdaut? Und wie waren die vergangenen Wochen seit der Bekanntgabe?
Schleinzer: Ich fürchte nicht. Es war ein herrlicher Schreck, würde ich sagen. Ich glaube, das ist der schönste Alptraum eines Filmemachers, der mit einem Erstlingswerk bei den Filmfestspielen in Cannes landet. Diese Bürde muss man jetzt mit Achtung und Demut und Würde ertragen lernen. Und ich hoffe, das gelingt mir. Das Glück, das ich hatte, war, dass der Film noch nicht wirklich fertig gearbeitet war und dass ich noch sehr viel damit zu tun hatte, ihn überhaupt fertig zu bringen. Es war mir gar nicht so viel Gelegenheit gegeben, mich an irgendwelche Gedanken der nahen Zukunft in Frankreich zu gewöhnen. Ich habe mich einfach hinter meiner Arbeit versteckt und versucht, diese so konzentriert weiterzuführen wie bisher.
Wie war das denn, als die Nachricht aus Cannes kam?
Christian Jeune, der in einer Vorjury in Cannes sitzt, hat mich angerufen und gesagt: Hello, this is your new best friend speaking. Damals haben sie uns die Wettbewerbsteilnahme bei "Un Certain Regard" zugesagt - das hat uns schon sehr gefreut. Und in der Nacht vor der Pressekonferenz, bei der die Festivalleitung die Programmierung bekanntgegeben hat, hat er mich noch einmal angerufen: Hier spricht wieder dein neuer bester Freund, er muss mir leider mitteilen, dass wir nicht bei "Un Certain Regard" laufen. Und ich wollte schon sagen: Gut, herzlichen Dank, es war ein schöner Traum. Aber dann meinte er, sie wollen, dass der Film im Hauptwettbewerb läuft. Eine Begründung dafür habe ich nicht bekommen.
Vom Film selbst ist bisher wenig an die Öffentlichkeit gedrungen. Inhaltlich war aber bereits zu lesen, dass es sich um eine Variation des Natascha-Kampusch-Falls handeln soll.
Das habe ich auch gelesen, bin aber nicht dieser Meinung. Die Presse ist immer gerne bereit zu etikettieren. Und vieles, was in den letzten Jahren an dieses Thema herangerückt ist, wurde schnell mit diesem ihrem Namen etikettiert. Aber das ist ein Missverständnis: Die Kino-Adaption des Natascha-Kampusch-Stoffes ist etwas, das Bernd Eichinger geplant hatte. Das wird dieses Jahr im Herbst noch realisiert. Meine Inspiration waren vielmehr diese vielen vermissten und verschwundenen Kinder, die im letzten Jahrzehnt die Massenmedien beschäftigt haben. Und da gibt es genau so viele tragische Fälle in Belgien, Frankreich oder Amerika, das ist kein Österreich-originäres Thema. Es hat mich nicht interessiert, ein Biopic zu schaffen, sondern einen anderen Blickpunkt zu eröffnen und mich dem Thema auf eine andere Art und Weise zu stellen.
Wie haben Sie sich denn dem Thema angenähert, aus welcher Perspektive wird erzählt?
Es ist ein Täterfilm. Ich habe von Anfang an beschlossen, dass es keine Geschichte ist, die ich aus der Opferperspektive erzählen will - das hätte ich sehr anmaßend gefunden, dafür weiß ich zu wenig. Wenn man von der Seite des Opfers erzählt, ist man sehr stark gefährdet, billige Miete zu machen, d.h. dass man einen Missbrauch, von dem man erzählt, eigentlich prolongiert. Das wollte ich nicht. Es ist ein Film, der aus der Welt des Täters erzählt, aus seiner Moral heraus. Es gibt keine äußerliche Instanz, keinen Ich-Erzähler, keinen Experten, der die Zuschauer bei der Hand nimmt und sie durch den Film führt. Der Film ist sehr distanziert erzählt, er lässt sehr viel Raum, das war mir wichtig. Es gibt einen fragmentarischen Handlungsbogen, weil ja die letzten fünf Monate des Zusammenseins der beiden Protagonisten erzählt wird.
Es hat bereits viele Vorschusslorbeeren gegeben, selbst Michael Haneke soll auf der Filmakademie seinen Studenten gesagt haben, dass Sie "alles richtig gemacht" haben. Steigert das für Sie die Vorfreude oder eher den Erwartungsdruck?
Natürlich ist es wünschenswert, dass man mit dem, was man gemacht hat, alles richtig gemacht hat. Und wenn das noch dazu andere sagen, auf deren Urteil man auch vertrauen darf, umso mehr. Mit dem Erstlingsfilm in Cannes entsteht natürlich auch in irgendeiner Art und Weise ein Druck, wobei ich da jetzt nicht jammern oder kokett sein will. Aber natürlich stellt sich die Frage, was soll jetzt die Zukunft sein. Nach 17 Jahren Casting-Mensch hab ich mit meinem ersten Film als Regisseur schon das erreicht, was zu erreichen war - soll ich mir jetzt wieder einen neuen Beruf suchen? Ist man jetzt gezwungen, an einen Erfolg anzuschließen und ein Leben lang Filme zu machen, die dann in Cannes laufen? Das bezweifle ich.
Außerhalb der Filmbranche war ihr Name bisher kaum jemandem ein Begriff, innerhalb kennt Sie dagegen fast jeder. Wie fühlt es sich an, aus dem Hintergrund ins Rampenlicht zu treten?
Ja, das hätte ich mir wohl vorher überlegen müssen (lacht). Ich habe 17 Jahre in Österreich Casting gemacht, für nationale und internationale Produktionen, und in den letzten zehn Jahren hauptsächlich Kino. Und ich habe mich in dieser Zeit eigentlich auch immer als Filmschaffender verstanden, also als Teil von dem Ganzen. Es war sehr angenehm, in all dieser Zeit an vielen Festivalerfolgen beteiligt gewesen zu sein, aber nachmittags trotzdem im Supermarkt einkaufen gehen zu können, ohne dass man das Gefühl hat, alle starren einen an und versuchen aufzuschlüsseln, wo man die Person schon mal gesehen hat. Das ist sicher etwas, an das ich mich gewöhnen muss, wenn es denn geschehen sollte.
Weil stets vom Autodidakten die Rede ist - erzählen Sie doch kurz von Ihrem Hintergrund, ihrer Ausbildung.
Ich war auf keiner Filmakademie, ich habe das nicht studiert. Ich habe es praktisch gelernt, am Set. Ich war immer sehr interessiert daran, an der Setarbeit teilnehmen zu können. Und da war es vor allem Michael Haneke, der mir sehr viele Wegen eröffnet hat, weil ich gerade bei seinen Projekten immer sehr stark eingebunden war. Ich habe beim Zuschauen gelernt, und der Beruf als Castingdirektor war auch eine gute Schule, den Umgang mit Schauspielern, mit Texten zu lernen. Den inszenatorischen Teil des Regieführens konnte ich mir durch diese Arbeit sehr gut ansehen.
Und das Ziel des Regieführens war immer konkret im Hinterkopf?
Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich mir das nicht immer gewünscht hätte. Aber ich war natürlich auch faul, weil das Leben so sehr angenehm war - man war immer dabei, man hat Festivalerfolge mitgetragen, ist ein bisserl gelobt worden. Aber ich glaube, wenn ich nicht den Tritt in den Hintern bekommen hätte, würde ich heute wohl immer noch in meinem stillen Kämmerchen sitzen und mir irgendwann denken, jetzt bin ich zu alt dafür - aber wohl auch zufrieden sein.
Und von wem gab's den Tritt in den Hintern?
Entscheidend für das Projekt "Michael" war sicher Haneke, der mir während der Dreharbeiten zum "Weißen Band" einfach gesagt hat: Du musst jetzt selber endlich deinen eigenen Film machen. Ich habe dort ja nicht nur die Kinder gecastet, sondern sie auch während der ganzen Drehzeit gecoacht und mit ihnen die Szenen erarbeitet und sie durch den Dreh durchgeführt. Er hat die Arbeit, die ich da geleistet habe, auch gesehen - und ist dann zu mir gekommen und hat gesagt: Du setzt dich jetzt hin und schreibst ein Drehbuch, ich will jetzt dann von dir was lesen. Und das habe ich dann ganz brav, musterschülerartig gemacht, ihm das geschickt und mich einen ganzen Tag lang schrecklich vor seinem Urteil gefürchtet - das dann aber ein sehr gutes Urteil war.
Dass der Protagonist auch "Michael" heißt ist dieser Tatsache geschuldet?
Nein, das ist ein reiner Zufall. Das wird mir kein Mensch glauben in diesem Zusammenhang, aber ich wollte für die Hauptfigur einen Namen finden, der sehr geläufig ist. In meiner Schulzeit waren wir vier Markusse, drei Alexander und drei Michael, das ist einfach ein weit verbreiteter Name. Und dazu kommt, dass der Name auf Hebräisch ja bedeutet: Derjenige, der sich an die Stelle Gottes stellt. Und das fand ich dramaturgisch sehr interessant, ohne das überbewerten zu wollen. Das kam mir für diesen unsichtbaren Mann, den ich versucht habe zu skizzieren, sehr passend vor.
Mit "Michael" und "Atmen" von Karl Markovics sind heuer zwei österreichische Debüts in Cannes zu sehen. Wie würden Sie denn die derzeitige Situation in der Branche beurteilen - nach den großen Erfolgen der vergangenen Jahre?
Ich weiß nicht, ob es ein Neustart ist, aber es ist natürlich sehr augenscheinlich, dass sehr viele Debütanten gefördert wurden. Bis auf die Marie Kreutzer kenn ich aber noch keine Arbeiten - ob es ein Neustart gewesen sein wird, wird man dann wohl erst in der Zukunft beurteilen können. Prinzipiell muss man sagen, dass der Kuchen ja nicht größer geworden ist. Ich habe in den letzten Jahren sehr viele gute Drehbücher gelesen, die nicht realisiert werden konnten, das heißt wir haben auch einiges an Potenzial liegengelassen aufgrund der finanziellen Situation, die wir haben. Ich glaube, dass die Politik gefördert wäre, über neue Strukturen nachzudenken. Ich finde es zwar schön, dass die Politiker den heimischen Regisseuren nach Cannes nachreisen - aber in der Heimat sind sie dann auf den Premieren nicht zu sehen. Ich glaube, es wäre sehr viel schöner, wenn das Filmschaffen in Österreich eine stärkere Lobby bekommt.
Das Gespräch führte Daniel Ebner/APA