Haftstrafe bereits abgesessen
Demjanjuk nach Urteil frei
Das Landgericht München hat den gebürtigen Ukrainer John Demjanjuk (91) der Beihilfe zum Mord an rund 28.000 Juden im Vernichtungslager Sobibor vor 68 Jahren schuldig gesprochen. Wegen seines Alters und seines Gesundheitszustandes und auch, weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, wird Demjanjuk vorerst auf freien Fuß gesetzt.
8. April 2017, 21:58
Abendjournal, 12.05.2011
"Teil der Vernichtungsmaschinerie"
Mit der Verurteilung Demjanjuks zu fünf Jahren Haft ist einer der womöglich letzten NS-Kriegsverbrecherprozesse in Deutschland zu Ende gegangen. Der Prozess galt als historisch, weil mit Demjanjuk erstmals ein als KZ-Wärter von der SS zwangsverpflichteter Osteuropäer - ein sogenannter Trawniki - vor ein deutsches Gericht gestellt wurde. Demjanjuk war laut Urteil 1943 ein halbes Jahr in Sobibor an der massenhaften Judenvernichtung im Zuge der Aktion Reinhardt beteiligt. "Der Angeklagte war Teil dieser Vernichtungsmaschinerie", sagte der Vorsitzende Richter Ralph Alt in seiner Urteilsbegründung.
Verteidiger beruft
Obwohl keine Augenzeugen Demjanjuk identifizieren konnten, zeigte sich der Richter aufgrund von Akten und Gutachten von dessen Schuld überzeugt. Da das Lager Sobibor allein zur planmäßigen Ermordung von Menschen diente, habe sich jeder mitschuldig gemacht, der dort Dienst tat. Das Landgericht blieb mit dem Strafmaß leicht unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die für Demjanjuk sechs Jahre Haft beantragt hatte. Dagegen hatte die Verteidigung einen Freispruch gefordert. Verteidiger Ulrich Busch kündigte an, Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) einzulegen.
Lange genug gesessen
Der frühere KZ-Wachmann wird nun trotz der Verurteilung zu fünf Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen. Nach zwei Jahren in Untersuchungshaft in München sei eine weitere Zeit im Gefängnis für den 91-Jährigen nicht verhältnismäßig, sagte der Richter. "Der Angeklagte ist freizulassen." Dementsprechend werde der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben. Mit dem Urteil des Landgerichts München bestehe keine Gefahr mehr, dass sich Demjanjuk seinem Prozess entziehe. Zudem sei er staatenlos und könne Deutschland nicht einfach verlassen.
Das NS-Vernichtungslager Sobibor
Das KZ Sobibor war ein Vernichtungslager, das von den Nationalsozialisten ausschließlich zur Ermordung von Juden bestimmt war. Den etwa 400 mal 600 Meter großen Komplex errichteten sie 1942 im Bezirk Lublin im besetzten Polen. Insgesamt starben dort bis zu 250.000 Menschen. Im Rahmen der "Aktion Reinhardt" wurden zunächst vor allem polnische Juden in den Gaskammern von Sobibor ermordet, später auch Juden aus Deutschland, Frankreich, Tschechien, der Slowakei und den Niederlanden.
Zum Lagerpersonal gehörten etwa 30 SS-Männer. Als Wach- und Sicherheitspersonal wurden auch 90 bis 120 meist osteuropäische "Hilfswillige" eingesetzt. Zu diesen Männern, die im SS-Lager Trawniki ausgebildet worden waren und deshalb Trawniki genannt wurden, gehörte nach Überzeugung des Landgerichtes München von März bis September 1943 auch der Ukrainer John Demjanjuk.
Zwölf SS-Männer standen im Zusammenhang mit Sobibor von September 1965 bis Dezember 1966 in Hagen (Westfalen) vor Gericht. Ein Angeklagter beging Selbstmord, einer wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, fünf bekamen Strafen von drei bis acht Jahren und fünf wurden freigesprochen. Außerdem wurde Lagerkommandant Franz Stangl 1970 zu lebenslanger Haft verurteilt. Er starb im Gefängnis.
Der lange Weg zum Prozess (ORF.at)
Service
Sobibor-Infos des Museums Wlodawa
Vernichtungslager Sobibor (Wikipedia)