Frauen an Bord

Gender Trouble am Piratenschiff

Glänzende braune Haut, gestählte Muskeln, großflächige Tätowierungen. Wenn in Film und Literatur Piraten die Bühne betreten, so sind dies in der Regel Männer, wie sie männlicher nicht sein könnten. Kühne, draufgängerische, raue Kerle, die selbst mit nur einem Auge oder einem Bein geschickter und ausdauernder kämpfen als alle ihre Gegner.

Für Frauen scheint es in dieser Welt geballten Testosterons nur wenig Platz zu geben; in den gängigen Piratenerzählungen kommen sie lediglich als Opfer piratischer Überfälle oder als Prostituierte in den Landverstecken der Piraten vor. Am Schiff selbst haben sie dem Ideal nach nichts verloren. "Frauen an Bord bringen Unglück", lautet ein gern kolportierter Aberglaube nicht nur in der piratischen Seefahrt.

Frauen veroten!

Tatsächlich soll es auf den meisten Piratenschiffen zur Blütezeit der Piraterie in der Karibik im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert verboten gewesen sein, Frauen mit an Bord zu nehmen, schreibt der deutsche Historiker Robert Bohn in seinem Buch "Die Piraten". Der Grund dafür sei jedoch weniger Aberglauben als vielmehr die Erfahrung gewesen, dass sich daraus zu viele Konflikte ergeben hatten.

Trotz solcher Restriktionen sind auch im Kontext der karibischen Piraterie Fälle bekannt, in denen Frauen führende Rollen an Bord übernahmen und selbst als Piratinnen aktiv wurden, erklärt der Literatur- und Theaterwissenschaftler Jörg Wiesel, Dozent an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel:

"Meistens Frauen, die schon mit auf erstmal nicht-piratischen Schiffen aus Europa, aus Portugal oder Spanien kommend sich in den karibischen Raum begeben haben, da Praktiken des Cross-dressing angewandt haben, um sich dann auf den Schiffen als Frau zu outen; die dann aber auch wie viele ihrer männlichen Matrosenkollegen hinterher auch auf die Seite der Piraten gewechselt sind."

Leichteres Leben in Männerkleidern

Nach diesem Muster funktionierte auch eine der berühmtesten überlieferten Piratinnenkarierren, jene von Mary Read. Schon als Jugendliche hatte die englische Piratin die Erfahrung gemacht, dass man in der Gesellschaft des frühen 18. Jahrhunderts in Männerkleidern besser durchkam als in Frauengewändern und war solcherart getarnt zuerst auf einem Handelsschiff, dann bei der Armee gelandet.

Nach einem sechsjährigen Intermezzo als Wirtin in einer Spelunke heuerte sie erneut als Mann verkleidet auf einem holländischen Westindienfahrer an, der nach mehrwöchiger Fahrt auf dem Atlantik prompt auf ein Piratenschiff stieß.

Die Ironie der Geschichte wollte, so der Historiker Robert Bohn, dass sich unter der Crew des Piratenkapitäns John Rackham die zweite Frau befand, die als Piratin in der Geschichte der karibischen Piraterie aktenkundig wurde: Anne Bonny. Die ebenfalls in Männerkleidern getarnte Geliebte des Kapitäns fand spontan Gefallen am neuen jungen Besatzungsmitglied und gab sich ihm als Frau zu erkennen. Entsprechend groß war die Überraschung, als sich Mary Read ebenfalls als Frau offenbarte.

Dem Tod entkommen

Die beiden Frauen avancierten in Folge zu wesentlichen Stützen des Piratenschiffs von John Rackham. Ein für allemal festgeschrieben wurde ihr Bild durch die Zeugenaussage einer gewissen Dorothy Thomas, die auf einem der von ihnen gekaperten Schiffe gewesen war: "Die beiden Frauen trugen Männerjacken und lange Hosen und um den Kopf gebundene Taschentücher; jede von ihnen hatte eine Machete und eine Pistole in der Hand."

Als Rackhams Schiff im Jahr 1720 von Kopfgeldjägern gestellt wurde, waren die beiden Piratinnen der Überlieferung nach die einzigen, die kämpften - der Rest der Mannschaft war schlicht zu betrunken. Die gesamte Crew wurde nach Spanish Town auf Jamaika gebracht, wo Rackham und seine zehn männlichen Besatzungsmitglieder zum Tode verurteilt und gehängt wurden. Auch Anne Bonny und Mary Read wurden zum Tode verurteilt, entzogen sich jedoch der Vollstreckung durch die Behauptung, sie seien schwanger, was von einem herbeigerufenen Arzt bestätigt wurde.

Über das weitere Schicksal der beiden Frauen gibt es lediglich Spekulationen, schreibt Robert Bohn. Mary Read soll noch im Gefängnis infolge einer Infektion verstorben sein; Anne Bonny, von der es heißt, dass sie von ihrem reichen Vater freigekauft wurde, verschwand spurlos.

Irritierend für die Männergesellschaft

Bis in die Gegenwart beflügeln Frauen als Piraten auf eigentümliche Weise die Phantasie. Karnevalskostümanbieter preisen gerne das Modell "Sexy Piratin" an, bestehend aus schulterfreier Bluse, geschnürtem Mieder, wogendem Minirock, Netzstrümpfen, hohen schwarzen Stiefeln, Augenklappe, Kopftuch und Pistole.

"Damit kapern Sie jeden Mann", wirbt etwa racheshop.de, eigenen Angaben zufolge "Europas witzigster Onlineshop". Ob als erotische Femme fatale im Kino oder als feministisches Role Model in frauenbewegten Sachbüchern - die Piratin fasziniert, weil sie irritiert, erklärt Jörg Wiesel. Denn wo immer die Piratin auf den Plan tritt, bringt das die Codes der piratischen Männergemeinschaft ins Wanken.

Homosexualität nicht die Ausnahme

Auch der schwule Pirat sorgt für Verunsicherung. In das gängige Machobild des Piraten will er genau so wenig passen wie der weibliche Pirat, auch wenn spätestens seit den Arbeiten des amerikanischen Historikers Barry Richard Burg in den 1980er Jahren klar ist, dass Homosexualität in den abgeschlossenen Männergesellschaften der Piraten in der Karibik eher die Norm als die Ausnahme gewesen sein dürfte. Dass Piratenschiffe außergesetzliche, außerkulturell definierte Räume fern der heterosexuellen Dominanz an Land waren, mag das Entstehen einer homophilen Kultur befördert haben.

Langsam, aber doch sickert dieses historische Wissen auch in den populärkulturellen Mainstream. Spätestens seit Johnny Depps Aufsehen erregender Performance als Captain Jack Sparrow in Gore Verbinskis Filmtrilogie "Der Fluch der Karibik" scheint es für männliche Piraten im Hollywoodkino mehr Rollen als nur das klassisch heterosexuelle Macho-Fach zu geben.

Für Jörg Wiesel liegt die große Kunst Johnny Depps in dieser Trilogie darin, dass er es schafft, die Figur des Jack Sparrow für Referenzen auf Männerschauspieler zu öffnen, die bereits in der Vergangenheit Piraten gespielt und dabei für leichte sexuelle Irritationen gesorgt haben:

"Denken Sie an Burt Lancaster im Film 'Der rote Korsar' - also sehr männlich, sehr athletisch, häufig mit nacktem Oberkörper, springt durch die Takelage der diversen Schiffe ähnlich wie ein Zirkusakrobat oder Artist - Lancaster war ja auch Artist -, und hat eben als Lancaster in dem Film, als Roter Korsar schon sehr stark leichte schwule Aspekte. Johnny Depp greift das auf, zitiert das in seinem Spiel von Jack Sparrow, ohne aber wirklich tuntig zu wirken, und ist ja sowohl für Keira Knightley sehr attraktiv wie auch für diverse Männer, die sich durchaus nicht primär erotisch, aber durchaus von ihm angezogen fühlen, etwa wenn's darum geht zu fechten, wie in der ersten Serie. Und ich glaube, das macht das Besondere aus."

Der Pirat Jack Sparrow, so Jörg Wiesel, fasziniert also nicht zuletzt, weil er sich eindeutigen sexuellen Zuschreibungen entzieht und in der gesamten Trilogie keine Bindungen eingeht.

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Buch: Robert Bohn, "Die Piraten", C. H. Beck

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