"Was wir sehen" im Museum für Völkerkunde

Späte Entlarvung

"Was wir sehen" ist der Titel einer Ausstellung, die am Mittwoch, 25. Mai 2011, im Museum für Völkerkunde in Wien eröffnet wird. Was da zu sehen ist: das "Archiv aussterbender Rassen" des deutschen Abenteurers Hans Lichtenecker, das er 1931 in Namibia erstellt hat.

Kulturjournal, 23.05.2011

Sabine Oppolzer im Gespräch mit Barbara Plankensteiner vom Museum für Völkerkunde

Lichtenecker sammelte Körperabmessungen, Gesichtsabformungen und Tonaufnahmen - ganz in der ethnologischen Tradition der 1930er Jahre -, um angebliche Zusammenhänge zwischen Körpermerkmalen und Charakter zu erforschen. Erst jetzt, Jahrzehnte später, wurden diese Tonaufnahmen übersetzt und es ist zu hören, was die Afrikaner zu diesen Methoden zu sagen hatten.

Service

Ausstellung "War wir sehen. Bilder, Stimmen, Repräsentation - Zur Kritik einer anthropometrischen Sammlung aus dem südlichen Afrika", 25. Mai bis 19. September 2011, Museum für Völkerkunde,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen den Eintritt ermäßigt (EUR 2,-).

KHM - Museum für Völkerkunde

Was man sieht, sind Aufnahmen von verstörten Menschen. Menschen, die zu Gesichtsabdrücken gezwungen werden, deren Stimmen für ein "Rassenarchiv" aufgenommen werden und deren persönlichster Lebensbereich aufs Gröbste verletzt wird. Die Ausstellung "Was wir sehen. Stimmen, Bilder, Repräsentation" beschäftigt sich mit der Zeit des Kolonialismus in Namibia Anfang des 20. Jahrhunderts und stellt die Ansichten und Gedanken der "erforschten" Bewohner in den Fokus.

Mittels Bilder und Fotos sowie aktuellen Interviews mit Nachfahren der Menschen zeichnet die von Anette Hoffmann kuratierte Schau ein vielseitiges Bild der unter dem Deckmantel von wissenschaftlicher Forschung angefertigten, anthropometrischen Sammlung des deutschen Abenteurers Hans Lichtenecker und zeigt eine persönliche Seite der Menschen. In der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika erstellte Lichtenecker 1931 Tonaufnahmen der Bevölkerung, fertigte Kopfabdrücke an und vermaß ihre Körper; die Menschen selbst interessierten ihn nicht.

Mittagsjournal, 23.05.2011

Die andere Seite zeigen

Über Lichtenecker wüsste sie nur die "nötigsten Eckdaten", erklärte Hoffmann bei einer Presseführung. "Er unterscheidet sich nicht großartig von seinen Vorgängern und Nachfolgern." Viel wichtiger war für sie, die porträtierten Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, die Tonaufnahmen und damit ihre Erfahrungen nachvollziehbar zu machen und somit die andere Seite dieser sogenannten wissenschaftlichen Sammlung zu zeigen und Kritik daran zu üben. Die Wachswalzen Lichteneckers entdeckte sie im Berliner Phonogramm-Archiv, ließ sie digitalisieren und übersetzen.

In der Schau kann man sich nun die originalen Tonaufnahmen per Kopfhörer anhören, die transkribierten Texten (in den Sprachen Khoekhoegowab und Otjiherero sowie deutscher Übersetzung) geben einen Eindruck von der Situation für die Betroffenen. Lichtenecker verstand die Leute nicht, gab ihnen auch keine Vorgaben, was eine Freiheit für die Sprecher ermöglichte, die sie zur Schilderung der Geschehnisse sowie kritischen Anmerkungen und teils poetischen Vorträgen nutzen. Ein Kommentar lautet etwa "Wir werden wieder missbraucht, wir befinden uns wieder in der Konservendose".

Das Ohr des Buschmannes

Auf Fotos sieht man, wie Lichtenecker den Menschen immer wieder Gesichtsabdrücke zeigte und diese mit Verstörung und Abscheu reagierten. "Es muss den Männern Spaß gemacht haben", kommentierte Hoffmann diese Praxis. Der Forscher war zudem sehr mit phrenologischen Zugängen beschäftigt, also Rückschlüssen von Kopf- und Körperform auf Charaktereigenschaften. "Er glaubte, den wahren Buschmann an den Ohren zu erkennen", so Hoffmann, weshalb er viele Ohrabdrücke anfertigte. "Das ist insofern ironisch, als er andererseits den Menschen ja nicht zuhörte."

Von fünf Leuten hat Hoffmann genauere Porträts erstellt, angereichter mit Interviews und Bildern von Künstlern. Die von Lichtenecker angefertigten Masken werden in der Schau nicht gezeigt, man habe recht bald erkannt, dass es besser sei, "sich gegen das Spektakel zu entscheiden", so Hoffmann. Die Ausstellung, die zuvor bereits in Kapstadt und Basel zu sehen war, lädt bis 19. September 2011 zur kritischen Auseinandersetzung mit diesen Vorgängen des Kolonialismus.

Aufarbeitung der Vergangenheit

Für Barbara Plankensteiner vom Museum für Völkerkunde ist die "kleine, aber sehr besondere Ausstellung" auch insofern wichtig, als damit "in kleinen Schritten die Vergangenheit" aufgearbeitet werde. Auch österreichische Forscher wie Rudolf Pöch haben ähnliche Unternehmung gemacht. Sein Fall wird seit 2007 in einem Projekt des Naturhistorischen Museums behandelt, die von Pöch gesammelten menschlichen Überreste sollen wieder an Südafrika zurückgegeben werden.

Text: APA, Red.