Text von Xaver Bayer
Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen
Xaver Bayer lesen, heißt: ein Cut-up setzen im Mainstream. Eine Unterbrechung dieser Art fordert gleich zu Beginn auch das neue Buch des 1977 in Wien geborenen Autors. "Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen" nennt sich die knapp 120-seitige Erzählung, aber "Kinder", "Steine" und "Wasser" sucht man in dem Text zunächst vergeblich.
8. April 2017, 21:58
Alles beginnt damit, dass ein soeben auf einem europäischen Flughafen gelandeter Passagier den Airport betritt. Die Wartezeit bis zum Anschlussflug, wenige Stunden nur, verbringen wir mit dem jungen Mann in den Transiträumen. Nach außen hin bietet sich dort ein weitgehend unspektakuläres Szenario. Aber darauf kommt es bei Xaver Bayer nicht an, denn der literarische Weg führt nach innen. Nur seismographisch werden die Erschütterungen zunächst wahrgenommen, bis sie schließlich zu einem wahren inneren Erdbeben führen.
Ort gegen die Langeweile
Auf die Idee, einen Transitraum zum literarischen Ort zu machen, und dann auch noch in dieser Ausschließlichkeit, musste man erst einmal kommen. Dennoch liegt der Gedanke irgendwie nah: Transiträume sind Un-Orte der modernen Welt, geschaffen vornehmlich gegen die Langeweile. Nirgends sonst nun aber gelangt der Mensch so schnell zu sich, als wenn er sich langweilt. Bayers Held überbrückt das Gefühl zunächst mit eingeschliffenen Routinen: Im Duty Free kauft er sich Dinge, von denen er weiß, dass er sie nicht braucht. An Geschäfts- und Essenskojen schleicht er vorbei, halbherzig greift einmal da und dort zu.
Der Transitraum erscheint als eine Bühne und wird, je länger man in ihm ist, zusehends kulissenhaft. Bayers Held indes, dem zum klassischen Helden das äußere Drama fehlt, dringt zusehends an die Grenzen des Raumes vor. In den letzten Winkeln verstecken sich mehr oder weniger lieblos eingerichteten Gebetsräume unterschiedlicher Konfessionen. Auch sie nimmt man in Bayers Buch wie eine leere Kulisse wahr, die um befüllt zu werden, die eigenen Gedanken und Assoziationsketten braucht.
Ein Satz, ein Buch
Zum Innenleben seiner Figur verschafft sich der Autor einen radikalen Zugang: Nur ein einziger Satz ist es, der sich in dem Buch von der ersten zur letzten Seite spannt. Ein formales Verfahren, das sich bei Friederike Mayröcker ebenso findet wie in Variationen beim diesjährigen Büchner-Preisträger Friedrich Christian Delius.
Bei Xaver Bayer gewinnt der eine Satz seine Länge aus zahlreichen Konjunktionen. Auch wenn die vielen "unds" dieser Prosa teilweise etwas angestrengt wirken und man sich an der einen oder anderen Stelle durchaus denken mag, dass hier ein Punkt auch nicht verkehrt gewesen wäre, erwächst dem Text aus der strikten formalen Vorgabe ein Zusammenhalt, den er durchaus nötig hat. Disparat und heterogen erscheinen zuweilen die Assoziationsketten, und doch umkreist alles, was dem Mann während der knapp zwei Stunden, die wir ihn begleiten, durch den Kopf geht, einen gemeinsamen Kern. Wie nimmt der Mensch, der im Transitraum gleichzeitig unterwegs und ortsfest ist, seine Umgebung wahr und wie sensibel kann er in seinen Wahrnehmungen werden?
Die Wirklichkeit mit der Kamera eingefangen
Ein klein bisschen klingt das - zugegebenermaßen - nach Peter Handke, und es ist sicher kein Zufall, dass Xaver Bayer vor drei Jahren den unter anderem von diesem Autor vergebenen Hermann-Lenz-Preis bekommen hat. Auch ein Ausruf, der sich mitten in Bayers Text befindet, liest sich wie eine Verbeugung vor den Wutattacken des Meisters: Mit dem Schimpf "Du elender Hauseingang!" wird das entsprechende Ding benannt.
Anders als Handke in seiner Ästhetik des reinen Weltempfindens bezieht Xaver Bayer sich in seinem Text in ganz besonderer Weise auf die mediale Vermittlung von Wirklichkeit. Nicht umsonst hat der Mann im Transitraum einen Fotoapparat umhängen, mit dem er seine Motive abschießt und seiner Welt einfügt.
Für eine beispielhafte Fluchtmöglichkeit aus jener Welt steht in Bayers Text der Name des amerikanischen Naturdichters Everett Ruess. Als 20-jähriger Mann ist er im Jahr 1934 zu einer langen Wanderung in die Canyons von Utah aufgebrochen und dort spurlos verschwunden. Für Generationen amerikanischer Bewunderer wurde Ruess zu einer mythischen Bezugsfigur eines authentischen Lebens. Vor zwei Jahren, so erfährt man, wenn man seinen Namen heute googelt, wurde sein Leichnam in einer Felsspalte gefunden. Zum Erfolg führte der Hinweis eines Navajos, der dies schon immer gewusst hat.
Mediale Images
In seinem Buch gelingt Xaver Bayer das Kunststück, solch imaginäre Fluchten, die selbst nichts anderes als mediale Images sind, mitten in eine Welt zu setzen, die von alten und neuen Medien gleichermaßen strukturiert und als Ganzes umschlossen ist.
"Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen" ist ein eminent zeitgenössischer Text. Er macht den Transit als einen Ort des ortlosen Lebens auf einer viel elementareren Ebene begreifbar, nämlich als eine Conditio, unter der wir leben. Verblüffend nur, dass sich dies heute noch in einer solch schönen und antiquierten Weise sagen lässt. Ganz so, als hätte Literatur ein unbändiges Leben.
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Xaver Bayer, "Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen", Jung und Jung
Jung und Jung - Xaver Bayer