Von Saigons Luxusstraße nach Chinatown

Von der Dong Khoi nach Cholon

Die "Perle des Orients" war Saigon einst für die französischen Kolonialherren. Ho Chi Minh City, wie die am Saigon River gelegene Stadt seit der Wiedervereinigung Vietnams im Jahr 1976 offiziell heißt, zählt zu den spannendsten Metropolen in Südostasiens.

Ralf Dittko kam 1994 als Rucksack-Tourist nach Vietnam. In Saigon zwang ihn eine Blinddarmentzündung dazu, länger als geplant in der Stadt zu bleiben. Dann kam ein Angebot, als Englischlehrer an einer Abendschule zu unterrichten. Zuerst verlängerte Ralf Dittko auf ein halbes Jahr, dann auf ein Jahr und mittlerweile arbeitet er als Kulturvermittler in der für ihn spannendsten Metropole Südostasiens.

Ralf Dittko steht vor dem Aufgang zur Saigoner Oper, auf dem Lam Son Platz. Als Graham Greenes Roman "Der stille Amerikaner" erschien, kannte man diesen zentralen Ort noch als Place Garnier. Rechts der Oper liegt immer noch das Hotel Continental, ein weißes Gebäude im französischen Kolonialstil, das der Regisseur Phillip Noyce als Schauplatz für seine Verfilmung des Stillen Amerikaners aus dem Jahr 2002 wählte.

Michael Caine spielt darin die Rolle des britischen Journalisten Thomas Fowler, der zum Akteur politischer Intrigen während des Indochina-Krieges wird. Hielte Michael Caine heute vom Hotelzimmer nach dem Cafe Givral Ausschau, sein Blick fiele ins Leere – oder besser gesagt auf eine großflächige weiße Abdeckung, die mit einer ausführlichen Skizze von der geplanten architektonischen Erneuerung davon ablenken soll, dass an dieser Ecke des Lam-Son-Platzes ein Haus fehlt.

Immobilien sind ein wichtiges Thema für die Stadt. Seit 2009 erfuhr der vietnamesische Dong vier Abwertungen und daher investiert man vorhandenes Geld gerne in Immobilien. Ein Beispiel dafür ist die Dong Khoi, die mondäne Einkaufsstraße von Saigon. Dort sind die Mietpreise heute höher als im Zentrum von Berlin, weiß Ralf Dittko.

Ohne Parkplatz kein Autokauf

Öffentliche Verkehrsmittel sind für die Einwohnerschaft Saigons mehrheitlich keine Alternative zu den Motorrollern. Das Bussystem wird als unzureichend beschrieben und die erste U-Bahn-Linie soll frühestens 2018 eröffnet werden. Autos hingegen sind in der Metropole am Saigon-Fluss im Kommen. Man spricht von 3.000 Neuzulassungen pro Monat, weiß Ralf Dittko.

Wer allerdings hinter dem Steuer sitzen möchte, der muss einen Abstellplatz für sein Auto vorweisen können. Und daran scheitert in vielen Fällen die Anschaffung eines vierspurigen Gefährtes, denn viele Straßen der Stadt sind selbst für nur einen einzigen Parkplatz zu schmal. Für die traditionellen Straßenverkäufer findet sich aber überall ein Plätzchen.

Themenstraßen in Cholon

Sieht man vom Ben-Thanh-Markt ab, der nahe der Dong Khoi liegt und mittlerweile deutlich weniger Nahrungsmittel als Souvenirs im Angebot hat, kann man seine Einkäufe in den vielen schmalen Straßenzügen im Zentrum erledigen. Zumeist sind die Angebote thematisch geordnet und ähnlich, wie bei den Handwerkszünften in der Altstadt von Hanoi, hat jede einzelne Straße einen speziellen Schwerpunkt.

Dieses Prinzip der Themenstraße hat man in Cholon, dem chinesischen Viertel der Stadt, nahezu perfektioniert. Cholon heißt übersetzt "großer Markt" und war früher ein eigenes Stadtgebiet. Der große Zustrom chinesischer Flüchtlinge ließ Cholon schließlich mit Saigon zusammenwachsen. Heute ist das Chinesenviertel der 5. Bezirk Saigons und weist die meisten geschäftlichen Aktivitäten der Stadt auf. Viele davon werden im Binh Tay Markt abgewickelt, dem authentischen und im Angebot absolut vielfältigen Gegenstück zum Zentralmarkt Ben Thanh.

In einer hellen und für das Chinesenviertel auch durchaus geräumigen Apotheken-Praxis sind unzählige Kräutermischungen und Teesorten in großen Glasbehältern verstaut. Im Verhältnis zu herkömmlicher Arznei ist die chinesische Medizin teuer: Beispielsweise kosten Antibiotika pro Tablette - und diese werden tatsächlich einzeln verkauft - 34 Cent. Eine Tagesration Tee hingegen kommt auf etwa 2,40 Euro. Bei einem Durchschnittseinkommen von etwas über 70 Euro macht sich dieser Unterschied schmerzhaft bemerkbar.

In der Straße der Fische werden Zierfische angeboten, die man vermutlich nicht so oft zu sehen bekommt. Bis zu 2.000 Dollar teure Spiegelkarpfen, also Kois, schwimmen ebenso in den Aquarien wie eigens gezüchtete Fische, deren Lippen sich wie zu einem Kussmund stülpen oder Albino-Fische.

Weiter geht es durch die Gassen von Cholon, vorbei an dem Geschäft von Herrn Tang, dem bekanntesten Kalligraphen des Chinesenviertels. Wie er Ralf Dittko berichtet, arbeitet Herr Tang gerade an einem Auftragswerk: ein Bild mit 1.000 Fischen soll er zeichnen.

Ganz in der Nähe von Herrn Tangs kleinem Laden befindet sich eine der schönsten Pagoden dieses Viertels, deren Namensgeberin - Thien Hau - als Schutzheilige der Seeleute verehrt wird. Viele der ehemaligen Boatpeople haben dort vor ihrer Flucht um Schutz gebetet und hinterlassen regelmäßig ihre Dankesspenden.

Ost-West-Highway im Bau

Zu den wichtigsten Projekten - nicht nur für Cholon, sondern für ganz Saigon - ist der Ost-West-Highway geworden. Er steht kurz vor der Fertigstellung und soll eine rasche Verbindung durch das Chinesenviertel in das Stadtzentrum und zum geplanten Finanzzentrum auf der anderen Seite des Saigon-Flusses gewährleisten und weiter bis in das Mekong-Delta, zur ersten Autobahn des Landes. Und nicht zuletzt im Umfeld dieses Projektes verschwanden auch die notdürftigen Unterkünfte entlang einiger Kanäle Saigons.

Zum Abschluss wartet Ralf Dittko noch mit einer Facette der Metropole auf, die man auf den ersten Blick gar nicht erwarten würde: Saigon hat eine Kaffeehauskultur. Diese kleinen Oasen des Wohlbefindens liegen irgendwo außerhalb des Einzugsgebietes der Dong Khoi und dort bleiben Eile und Hast zugunsten eines für Saigon ganz ungewohnten Lebensrhythmus ausgesperrt.

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