"Kirschgarten"-Happening von Kristian Smeds

Tschechow in Macondo

Der finnische Regisseur Kristian Smeds und sein Ensemble aus Litauen zeigen Anton Tschechow einmal anders: Im Flüchtlingsdorf Macondo am Stadtrand von Wien haben sie die Bewohner zum Feiern, Essen und Trinken eingeladen. An Ort und Stelle folgt am Abend des 28. Mai 2011 eine Inszenierung von Tschechows "Kirschgarten".

Kultur aktuell, 28.05.2011

Macondo heißt eine Siedlung in Wien-Simmering, in der seit Jahrzehnten anerkannte Flüchtlinge leben, arbeiten und ihre Gärten pflegen. Etwa 3.000 Menschen wohnen hier. Sie kommen aus aktuellen und früheren Krisengebieten. Dieser Ort, der den meisten Wienern unbekannt ist, erschien dem finnischen Regisseur Kristian Smeds als passender Schauplatz für sein "Kirschgarten"-Happening.

Mit einer Gruppe von Schauspielern hat er sich in einem der Gärten einquartiert. Auf einer großen Wiese spielen Kinder aus der Nachbarschaft Fußball; tags zuvor hat hier ein Familienfest stattgefunden. "Dieser Garten gehört Ramon, einem Chilenen", sagt Kristian Smeds. "Ich habe ihn getroffen, als ich das erste Mal hier herkam. Er hat mir erzählt, dass die Stadt Wien plötzlich Miete verlangt von den Leuten, die sich teilweise seit Jahrzehnten um alles gekümmert haben. Dieser Garten, in dem wir auch das Stück aufführen, ist also zu einer Art Kirschgarten geworden."

Ein neues Leben fern der Heimat

Wie die verschuldete Aristokratenfamilie in Tschechows "Kirschgarten", die am Ende ihr Gut verlassen muss, mussten die Bewohner von Macondo weg aus ihrer Heimat und woanders ein neues Leben beginnen, so Kristian Smeds. Es ist, als ob dieser völlig unbeachtete und schwer erreichbare Ort am Rande Wiens plötzlich eine Bedeutung bekommen würde.

Smeds benutzt die Siedlung aber nicht als bloße Kulisse. Man sei behutsam auf die Bewohner zugegangen, erklärt der finnische Regisseur. Schon vor Tagen sei sein Team hier eingetroffen, die Menschen seien in alle Abläufe eingebunden. "Wir versuchen, die Türen offenzuhalten", so Smeds. "Jeder darf uns zuschauen, und wenn jemand mithelfen möchte, ist das auch möglich. Es haben sich sogar mehrere Leute bereit erklärt, für uns zu kochen."

Wiedersehen in Wien

Dieses mehrtägige Miteinander mündet am Samstag, 28. Mai 2011, in die "Kirschgarten"-Inszenierung. Das Projekt hat eine Vorgeschichte: Im Sommer 2009 lud Kristian Smeds elf litauische Schauspieler in ein kleines russisches Sommerhaus außerhalb von Vilnius, das mittlerweile in einem modernen Viertel steht. Es entwickelte sich ein mehrtägiges Happening, zu dem bald auch Publikum kommen durfte. Im Haus und im Garten inszenierte man den "Kirschgarten".

Nun hat sich dieselbe Schauspielergruppe, die mittlerweile über die ganze Welt verstreut ist, in Wien wiedergetroffen. "Wir haben hier eine fiktive litauische Gemeinschaft aufgebaut", sagt Smeds. "Wie die Bewohner von Macondo sind wir also eine Gruppe von Menschen, die - weit weg von zu Hause - hier zusammengekommen ist."

Mit diesem Abend ist das Festwochen-Gastspiel nicht abgeschlossen: Der vierte Akt von Tschechows "Kirschgarten" wird am Sonntag, 29. Mai 2011 auf der leeren Bühne des Schauspielhauses gezeigt. Man wolle sehen, so Kristian Smeds, ob es überhaupt möglich sei, die Inszenierung auf eine Bühne zurückzubringen.