Wolfgang Schmidbauer über den Verlust der Gefühle

Das kalte Herz

"Das kalte Herz" nannte nicht nur Wilhelm Hauff ein Märchen, so nennt auch der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer sein neues Buch über den Zusammenhang von Geldstreben und Gefühlsleben, das auf dieses Märchen Bezug nimmt und es immer wieder zitiert.

Peter Munk, genannt der Kohlenmunk-Peter, ist ein Köhler im Schwarzwald. Doch er ist mit seinem Leben nicht zufrieden, schon gar nicht mit der schweren, schlecht bezahlten und wenig respektierten Arbeit. Er träumt davon, reich und angesehen zu sein, so wohlhabend wie der reiche Ezechiel und so begehrt wie der Tanzbodenkönig.

Das Glasmännlein, ein Waldgeist, erfüllt ihm den Wunsch, und schon bald hat Peter nicht nur die schönste Glashütte im Schwarzwald, er kann auch so gut tanzen wie kein anderer und hat beim Spiel im Wirtshaus stets die Taschen voller Geld.

Doch der Kohlenmunk-Peter verspielt sein Glück und wird mit Schande davongejagt. Da trifft er einen zweiten Waldgeist, den Holländer-Michel, der ihm die Ursache für sein Unglück nennt: sein Mitgefühl, sein weiches Herz. Der Kohlenmunk-Peter überlässt ihm sein Herz, tauscht es gegen eines, an das "weder Angst noch Schrecken, weder törichtes Mitleid noch anderer Jammer pocht": ein Herz aus Stein.

Am nächsten Tag ist Peter steinreich. Er macht eine Weltreise. Er fürchtet sich vor nichts, aber er freut sich auch über nichts, kann weder lachen noch weinen. Er will vom Holländer-Michel sein altes Herz zurück, der aber verweigert es ihm. Er baut sich ein riesiges Haus, heiratet, wird ein erfolgreicher und gefürchteter Wucherer, der seine Mutter mit Almosen abspeist und seiner Frau verbietet, Bittsteller zu empfangen. Als sie eines Tages heimlich einem alten Mann Wein und Brot anbietet und Peter das entdeckt, gerät er außer sich vor Wut, greift zur Peitsche und erschlägt seine Frau.

"Das kalte Herz" nannte Wilhelm Hauff seine Geschichte vom Kohlenmunk-Peter und seinem verhängnisvollen Pakt, eine Geschichte von Neid, Habgier und Hartherzigkeit, vom Tausch Geld gegen Gefühle, die, weil sie ein Märchen ist, schließlich doch noch in ein Happy-End mündet.

Ware als Surrogat für Gefühle

"Es ist ja eigentlich eine Teufelspaktgeschichte", sagt der Autor. "Der Held verbündet sich mit einem Vertreter des Bösen, um reich zu werden. Das ist an sich eine ganz alte Sache. Aber das Spezielle ist - und das, denke ich, ist schon interessant für das Aufkommen des Kapitalismus in Hauffs Lebenszeit -, dass eben für diesen Erfolg auf Erden das kalte Herz notwendig ist. Das finde ich sehr visionär."

Die "Zerstörungen des Kapitalismus" betreffen nicht nur Natur und Umwelt. "Sie treffen auch unsere Innenwelt", schreibt Wolfgang Schmidbauer zu Beginn seines Buches "Das kalte Herz. Von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle". Wo Eltern von ihren Kindern nicht mehr als Vorbilder wahrgenommen werden, sondern ersetzt werden durch "Surrogate aus Ware und vermitteltem Bild", wo Turbo-Dating die erotische Beziehung bestimmt, wo Rücksichtslosigkeit im Arbeitsleben als Zeichen von Engagement gilt, ist eines unübersehbar: der Verlust an Empathie, an Einfühlung ins Gegenüber.

"Geld kappt die Wurzeln des Geistes in den Emotionen", sagt Schmidbauer. Unter dem Einfluss der Geldwirtschaft entstünden "seelische Filter, welche jene Aspekte unserer Emotionen begünstigen, die zu den Kapitalinteressen passen".

"Mich beschäftigt natürlich schon lange diese Wechselwirkung zwischen der Konsumgesellschaft und der Psyche", so Schmidbauer. "Und da ist dieses Märchen ein ganz gutes Modell für diesen Verlust der Gefühle durch diese Macht des Geldes und durch die Phantasie, dass eigentlich alles käuflich sein müsste, dass Gefühle kontrollierbar sein müssten, dass man, wenn man in eine Liebesbeziehung investiert, auch einen entsprechenden Gegenwert kriegen kann, dass es nicht notwendig ist, sich in andere reinzuversetzen, Empathie zu entwickeln und das Fremde, das Andere zu verstehen und schonend damit umzugehen. Sondern dass es möglich und berechtigt ist - nach dem Motto, wer zahlt, schafft an - dass man diese ganzen von der Einfühlung diktierten Rücksichten preisgibt, um wirtschaftlich schneller zum Erfolg zu kommen."

Verstärkung der Angstkomponente

Geld ist mehr als ein Zahlungsmittel. Geld ist ein Symbol für das veränderte Bewusstsein des modernen Menschen, schrieb der Philosoph Georg Simmel in seiner "Philosophie des Geldes" vor mehr als hundert Jahren. Auch für Wolfgang Schmidbauer hat Geld eine nicht-ökonomische Realität. Das Streben nach Geld drückt den Wunsch nach Ansehen und Macht, nach Aufmerksamkeit und Wertschätzung aus. Geld suggeriert Sicherheit. Doch mit dem Wachstum des Reichtums wächst auch die Angst vor seinem Verlust. "Geld macht Druck."

"Ich glaube, dass die Veränderung des menschlichen Gefühlslebens durch die Geldwirtschaft vor allem eine Verstärkung der Angstkomponente ist", meint Schmidbauer. "Die Angst ist das, was uns warnt, Sicherheit preiszugeben. Und in der von Geld beherrschten Gesellschaft ist einfach Geld das zentrale Mittel, um Sicherheit zu erwerben, um sich sicher zu fühlen. Wenn man keine Schulden hat, wenn man etwas gut finanzieren kann, sein Leben finanzieren kann, dann fühlt man sich sicher. Wenn das bedroht ist, weckt das heftige Ängste. Und die Menschen tun sehr viel, um diese Unsicherheit zu vermeiden und sind auch sehr manipulierbar."

Geld macht abhängig

Schmidbauer erkennt einen Zusammenhang zwischen Geldwirtschaft und Depression. Wer sich nur über Leistung, über Ansehen, über Geld und materielle Dinge definiert, läuft Gefahr, in einem Strudel narzisstischer Größenphantasien und Ängste unterzugehen. Er wird davon so abhängig wie ein Suchtkranker von Drogen. Er entwickelt zunehmend Ängste vor Fehlern, vor Verlusten, vor dem Nicht-Perfekten, und diese Ängste lähmen die Empathie, das Vertrauen in die eigenen Gefühle.

"Was mich auch interessiert, ist die Auswirkung des Geldes auf die Erziehung, auf die Dynamik in den Familien", sagt Schmidbauer. "Ein sprechendes Beispiel, das ist der Gründer eines Unternehmens, ein ganz reicher Mann, der seinen Sohn gezwungen hat, in den Ferien am Fließband zu stehen, damit er die Firma kennenlernt. Und der Sohn war später sehr depressiv und sehr unglücklich und hat sich genau erinnert, wie er als Kind glühend die Kinder der Arbeiter beneidet hat, die in den Ferien mit ihren Vätern Schwimmen gehen konnten, während er eben, um den Ernst des Daseins als Fabrikant schon als Kind kennenzulernen, da am Fließband arbeiten musste. Das sind Tragödien, die sich da abspielen, die auf dieser Überschätzung des in Geld messbaren Erfolges beruhen. Mein Buch ist schon auch ein Plädoyer für Lebensqualitäten, die halt nicht in Geld messbar sind und die nichts mit Erfolg zu tun haben, die aber für die menschliche Zufriedenheit eigentlich entscheidender sind."

Kein Platz für Empathie

Schmidbauer räsoniert über Geld, Evolution und Größenwahn, über die Volkskrankheit Depression und den Vorteil der "Entschleunigung", er zitiert Fälle aus der eigenen Praxis und Beispiele aus der Literatur: Goethe, Schiller, Tolkien, Stifter. Schmidbauer schreibt klar und unprätentiös, kommt aber mitunter weit ab vom eigentlichen Thema, der Wechselwirkung von Konsumgesellschaft und psychischer Depravierung.

Immer wieder kreisen seine Ausführungen um den Begriff der Empathie, um die Rolle der Einfühlung bei der Entwicklung der Persönlichkeit und ihren drohenden Verlust in einer globalisierten, von Fortschrittsglauben, Wachstum und Gewinnstreben geprägten Welt. Empathie und Macht, Empathie und Migration, Empathie und Sterbehilfe sind Schmidbauers Themen, aber auch Mobbing und Stalking als Folgen des Empathieverlusts. Damit rückt auch bei ihm ein Begriff ins Zentrum, der gegenwärtig Konjunktur zu haben scheint.

Unlängst hat der Primatenforscher Frans de Waal dem "Prinzip Empathie" gehuldigt und das solidarische, kooperative Verhalten im Tierreich als Modell einer besseren Gesellschaft gepriesen, und der Trendforscher Jeremy Rifkin träumt vom Ende des Egoismus und dem Siegeszug des "homo empathicus". "Die empathische Zivilisation" heißt Rifkins jüngstes Werk.

"Wenn man den genauer liest, dann hat er ja eine durchaus ähnliche Position wie ich", meint Schmidbauer. "Nur versucht er - er ist halt ein Amerikaner - das Ganze optimistisch zu verkaufen. Und denkt, dass die Menschen mehr Möglichkeiten haben, Empathie zu entwickeln als die Psychologie und Psychotherapie meint - und dass das an sich ein hoffnungsvolles Element ist. Dem widerspreche ich gar nicht. Nur, diese Idee, dass das sozusagen von selber funktioniert, dass die Strukturen, in denen wir leben und in denen die Wirtschaft funktioniert, gegenwärtig empathischer geworden sind, das kann ich nicht sehen. Dass es diesen Menschen, der des Menschen Wolf ist, nicht gibt, sondern dass der Mensch ein auf andere Personen bezogenes Wesen ist, das würde ich auch teilen. Nur, denke ich, hilft uns das nicht gegen destruktive Strukturen. Erst müssen die Strukturen an eine Grenze geraten, erst dann kann sich dieses Potenzial entwickeln."

Keine Rezepte

Hauffs Märchen von 1827 endet positiv. Den Kohlenmunk-Peter quälen Alpträume, der Mangel an Warmherzigkeit macht ihm zu schaffen. Ein drittes Mal trifft er den Holländer-Michel, mithilfe eines Tricks kann er ihm sein altes, sein echtes, sein warmes Herz entringen. Er bereut sein verpfuschtes Leben, gibt sich mit seiner Kohlenmacherei zufrieden und freut sich des Lebens mit seiner Mutter und seiner wiederbelebten Frau. "So leben sie still und unverdrossen fort", schreibt Hauff", "und noch oft nachher, als Peter Munk schon graue Haare hatte, sagte er: 'Es ist doch besser, zufrieden zu sein mit wenigem, als Gold und Güter haben und ein kaltes Herz'."

"Das ist eben das schöne Paradox bei Hauff, dass es eigentlich ein gefühlloses Herz ist", meint Schmidbauer. "Dass aber dann der Kohlenmunk-Peter am Schluss so enttäuscht ist über das kalte Herz, dass er dann doch sein warmes Herz zurückhaben will, so ähnlich paradox, glaube ich, ist die Entwicklung. Ich denke, wir wissen viel zu wenig über die Entwicklung der Gesellschaft, um irgendwelche Endzeitszenarien voraussagen zu können. Was wir auf jeden Fall sicher wissen, dass diese optimistischen Szenarien, dass man immer weiter wachsen kann und das gar kein Problem ist, dass die falsch sind."

Der Kohlenmunk-Peter gewinnt am Ende sein warmes Herz zurück, weil die "Unterdrückung seiner Empathiefähigkeit" keine vollständige war. Ob auch in der Realität funktionieren kann, was im Märchen möglich ist, darüber gibt Wolfgang Schmidbauer in seinem Buch "Das kalte Herz" nicht wirklich Auskunft. Es bietet Diagnosen, keine Rezepte, kennt aber Begriffe, die es zu betonen gilt: Dankbarkeit, Rücksichtnahme, Sinnlichkeit - und die "leise innere Stimme, die Angst und Gier widersteht". Der "homo consumens", der "kaltherzige Verbraucher des Planeten" jedenfalls ist für Wolfgang Schmidbauer zum Aussterben verurteilt.

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Wolfgang Schmidbauer, "Das kalte Herz. Von der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle", Murmann Verlag

Wolfgang Schmidbauer
Murmann Verlag - Das kalte Herz