Daisuke Miuras "Castle of Dreams"
Blick ins Wohnzimmer
Die Sprache ist die Mutter von Lüge und Phantasie, so der japanische Theaterregisseur Daisuke Miura. Und so verbannt er die Sprache in seinem Stück "Castle of Dreams" kurzerhand von der Bühne. Keine Dialoge nur wortloses Theater.
26. April 2017, 12:23
In Japan gilt der 1975 in Hokkaido geborene Miura als einer der großen Shootingstars des Theaters. 2006 wurde ihm als bisher jüngstem Regisseur die wichtigste Theaterauszeichnung Japans, der Kunio-Kishida-Preis, verliehen. Bei den Wiener Festwochen hat sein Stück "Castle of Dreams" am 1. Juni 2011 im brut Premiere. Eintritt ab 18 Jahren.
Kulturjournal, 01.06.2011
Sex, schlafen, essen, Sex
Ein WG-Chaos beginnend um zwei Uhr nachts. Acht junge Menschen. Sie haben Sex, schlafen, essen, haben wieder Sex. Zwischen Langeweile und Perspektivenlosigkeit bleibt kein Platz für Geschichten. Es sei ein Blick auf eine Realität, so Daisuke Miura, in der nicht gesprochen wird, weil alles schon gesagt sei:
"Es geht in erster Linie darum, dass ich dem Publikum etwas zeigen wollte. Ich wollte eine Situation zeigen, die sich selbst beschreibt. Die Gefühle der Trägheit, das Animalische dieser Menschen spiegelt sich in ihrer Sprachlosigkeit. Es war die beste Möglichkeit zu zeigen, wie mühsam ihnen Kommunikation erscheint."
Gesellschaftsanalyse ohne Worte
Etwas wird gekocht, mit starrem Blick in den Fernseher gegessen, wieder Sex. Dabei überlässt es Miura dem Publikum, das Gezeigte zu beurteilen. Die einen finden es abstoßend, die anderen gehen in ihrem Voyeurismus auf und sind begeistert. Mit den Reaktionen des Publikums wird das Gezeigte zu einer Situation im Raum, in der jeder selbst entscheiden muss. Verstärkt wird das Gefühl des Voyeuristischen dabei durch eine Glasscheibe, die Bühne und Zuschauerraum trennt.
"Ich möchte, dass der Zuschauer das Geschehen wie durch ein Guckloch sieht", sagt Miura. "Oder wenn Sie sich ein Gebäude mit großen Fenstern vorstellen. Der Zuschauer sitzt gewissermaßen auf der anderen Straßenseite und schaut in diese Wohnung. Ob ihm das, was er sieht, gefällt oder nicht, das überlasse ich ganz dem Publikum selbst."
Immer wieder gibt Miura seinen Inszenierungen, wie hier mit der Glasscheibe, einen Rahmen. Er glaubt, dass durch die Distanz, durch das Gefühl des Hineinschauens das Publikum stärker in die Handlung hineingezogen wird. Hinein in seinen Bühnenalltag.
Genaues Skript
Bereits in seinen ersten semidokumentarischen Arbeiten, wie "Knight Club" aus dem Jahr 2000, oder seinem "Netai Video" untersuchte Miura den Alltag. Damals allerdings noch mit recht loser Handlung und keinem präzisen Skript. In "Castle of Dreams" hat er nun erstmals auf Text verzichtet, dafür sei das Skript umso präziser:
"Es ist alles genau festgelegt, jeder Augenblick. Die Regieanweisungen definieren alle Bewegungen. Wenn eine Zigarettenschachtel aufgehoben wird, so wird die nicht zufällig aufgehoben. Und wenn dabei ein Geräusch entsteht, so entsteht das auch nicht zufällig. Es soll zwar so aussehen, aber alles ist sehr genau festgelegt."
Noch kein Einfluss der Katastrophen in Japan
"Castle of dreams" ist eine Arbeit aus dem Jahr 2006. Das heurige Erdbeben, der Tsunami und die Atomkatastrophe hatten keinen Einfluss darauf. Und Miura, der sich in seinen Stücken stets an der Realität orientiert, weiß auch noch nicht, wie er mit der Katastrophe in neuen Arbeiten umgehen soll.
"Ich glaube, das Erdbeben hat einen sehr großen Einfluss auf meine nächsten Arbeiten", so Miura. "Einfach schon deshalb, weil es jetzt schwierig sein wird, eine Arbeit zu schreiben, in der das nicht vorkommt. Ich weiß es noch nicht... Wenn ich darüber schreibe, muss ich erst überlegen, welche Haltung ich dazu einnehmen soll. Wenn ich es nicht mit hineinnehme und den Alltag der Menschen zeige, wird sich jeder fragen, warum hat er das nicht getan? Die Katastrophen waren da, und die leben einfach so weiter? Es ist eine sehr heikle Frage."
Daisuke Miuras "Castle of Dreams" hat am 1. Juni 2011 seine Wien-Premiere. Bisher seien die Reaktionen des Publikums immer die gleichen gewesen, so Miura. Die Hälfte der Zuschauer hat es verteufelt, die andere hat es gelobt - in Japan wie auch im Ausland. Man darf also gespannt sein, wie das Wiener Festwochenpublikum reagieren wird.