Roman von Wladimir Makanin

Benzinkönig

Krieg, das ist nicht bloß ein grausames Gemetzel. Hinter der Front ist Krieg vor allem eines: eine Zeit des absoluten Stumpfsinnes und der alles umfassenden Langweile. Vor allem, wenn die Kampfhandlungen sich über Jahre hinziehen und sich eine geistlose Routine einschleicht. Gnau hier setzt Wladimir Makanin an.

Zwar beschreibt er auch Kampfhandlungen, berichtet darüber, wie die russischen Truppen immer wieder in Hinterhalte der Tschetschenen geraten, aber sein Hauptaugenmerk gehört der alltäglichen Routine. Der Krieg betrifft uns zwar, aber wenig, wird die Hauptfigur Major Schilin einmal sagen. Und er vergleicht das Verhältnis der Tschetschenen zu den Russen mit dem von Fußballfans, deren Herzen für verschiedene Mannschaften schlägt.

Auflösung der Ordnung

"Benzinkönig" spielt während des Ersten Tschetschenienkriegs, also zwischen 1994 und 1996. Etwa 40.000 russischen Soldaten marschierten damals in die Kaukasus-Republik ein und eroberten nach zweimonatigen Kämpfen die Hauptstadt Grosny. Zu Ende war der Krieg damit aber noch lange nicht, denn unter dem Rebellenchef Dudajew verlegten sich die Tschetschenen auf eine Guerillakrieg, der die Moral der russischen Soldaten untergraben sollte. Und wenn man Wladimir Makanin glauben will, dann ist ihnen das hervorragend gelungen.

In seinem Buch hat sich jegliche Ordnung aufgelöst. Es gibt keine Regeln in diesem Krieg, heißt es an einer Stelle, außer dem Gesetz der Gesetze. Und das lautet: Schuldest du Geld, dann gib es her. Die Hauptfigur des Romans ist der Ich-Erzähler Major Schilin, der titelgebende Benzinkönig. Jedes zehnte Fass Benzin, das er aus Russland für die eigenen Truppen geschickt bekommt, behält er für sich ein. Business ist das und dieses Geschäft steht über allem - über dem Gesetz, über der Religion, über der ethnischen Zugehörigkeit. Treibstoff ist ja im wahrsten Sinne des Wortes der Treibstoff jedes Kriegs. Ohne ihn geht gar nichts.

Der Benzinkönig setzt ihn gekonnt ein, um sich die verschiedensten Loyalitäten zu sichern. Manchmal gibt Schilin etwas Benzin den prorussischen Bauern der Gegend, damit sie ihre Geräte starten und ihre Feldarbeit verrichten können. Er setzt ihn aber auch als Bezahlung für die berüchtigten tschetschenischen Feldkommandeure ein, die bei Aussichten auf Sprit ziemlich friedlich und gesprächig werden. So ist der korrupte Major einer, der durch geschicktes Agieren das alles verschlingende Chaos ein wenig im Zaum hält. Das zeigt schon die erste furiose Szene dieses Romans:

Aug um Aug

Neue Soldaten sind aus Russland gekommen. Der lang erwartete Nachschub. Aber was für Soldaten das sind: grün hinter den Ohren, unerfahren und über alle Maße besoffen. Und als diese Kämpfer in Major Schilins Lager gebracht werden sollen, gerät ihr Zug in einen Hinterhalt tschetschenischer Freischärler. Major Schilin eilt herbei und nun beginnt das Feilschen um das Leben der Russen. 5.000 Dollar will der tschetschenische Feldkommandeur. Kommt gar nicht in Frage, sagt Schilin. Dann werden die Soldaten eben von den Tschetschenen getötet werden.

Einen halben Schritt vom Blutbad entfernt, dachten wir beide ans Geld, heißt es im Text. So sei eben das Leben auf den Straßen. Lange ziehen sich die Verhandlungen hin, dann bemerkt Schilin so nebenbei, dass er in einiger Entfernung einige alte Tschetschenen auf der Straße gesehen habe, denen der Sprit ausgegangen sei. Wenn also der Feldkommandeur die russischen Soldaten erschießen lasse, werde er einen Kampfhubschrauber anfordern, und der werde die alten Tschetschenen vernichten. Rühre unsere nicht an, dann rühren wir eure nicht an, so die archaische Logik dieses Geschachers.

So als wäre das alles nicht schlimm genug, beginnen aber die gefangenen russischen Soldaten, als sie nach und nach aus ihrem Suff erwachen, die Tschetschenen zu provozieren. Während Schilin um ihr Leben pokert, und sie eine Haaresbreite vom Tod entfernt sind, zeigen sie einer nach dem anderen den Tschetschene ihre nackten Hintern, furzen und lachen sich krumm.

Ein Mann als Bastion

Makanin zeigt den Major als stoische letzte Bastion in einer wahnsinnigen Welt. Der Major ist keineswegs unsympathisch, man leidet mit ihm mit, fühlt für ihn, wenn er wieder an seine Frau denkt, die daheim ein neues Haus baut und sich immer wieder erkundigt, wann er denn einmal russische Soldaten vorbeischicken könne, damit die die Arbeit erledigen. Man kann seine Erleichterung nachvollziehen, wenn sein Vater, der ihn besuchen gekommen war und stets besoffen im Lager herumirrte, endlich wieder im Zug sitzt.

Und seine Langeweile, wenn er von General Basanow eingeladen wird, denn dieser hat nichts zu tun - er verbringt seine Zeit damit, Bücher über Tschetschenien zu verschlingen. Da man für Basanow nirgendwo mehr Verwendung hat, soll er für die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Russen und Tschetschenen sorgen. Da beide Seiten daran aber kein Interesse haben, verbringt Basanow seine Tage damit, seine Untergebenen mir langen historischen Traktaten über Tschetschenien zu malträtieren.

"Benzinkönig" ist ein großartiger Roman. Makanin berichtet auch über die Gräuel des Krieges: über Folterungen, Vergewaltigungen, Morde. Aber all das steht nicht im Mittelpunkt. Im Mittelpunkt steht ein Mann, der abgebrüht an seinen Prinzipien festhält. Und der, als er dann wirklich einmal selbstlos handelt, eine Katastrophe auslöst.

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Wladimir Makanin, "Benzinkönig", aus dem Russischen übersetzt von Annelore Nitschke, Luchterhand Literaturverlag

Luchterhand Literaturverlag - Wladimir Makanin