Fotocollagen von Gilbert & George im Lentos
"Jack Freak Pictures"
Das britische Künstlerduo Gilbert & George gilt als eine der Ikonen der zeitgenössischen Kunst. Gilbert & George machten sich selbst zum Material und ihr Leben zur Kunst. Im Linzer Kunstmuseum Lentos zeigen die beiden nun ihre 2008 entstandene Serie "Jack Freak Pictures".
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 16.06.2011
Interview mit Gilbert & George
Morgenjournal, 16.06.2011
Nina Fuchs
Vor rund 40 Jahren haben sich Gilbert & George sich von ihrer Individualität befreit, um fortan als gemeinsames Kunstwerk zu existieren. - In maßgeschneiderten Anzügen aus feinem englischen Tuch, Gilbert & Georges Markenzeichen, stecken zwei Rebellen, die ihre Körper, Laster und Vorlieben zu Kunst erklären und seit den späten 1960er Jahren immer wieder die Grenzen der öffentlichen Moral erweitern.
"Es wird uns immer wichtiger, dass unsere Kunst sämtliche Barrieren überwindet. - Denn wir beschäftigen uns mit Themen, die für jeden Menschen zentral sind. - Tod, Hoffnung, Leben, Angst, Sex, Geld, Rasse, Religion", sagen Gilbert & George.
Union Jack als zentrales Motiv
Im Linzer Kunstmuseum Lentos zeigen Gilbert & George nun ihre 2008 entstandene Werkgruppe "Jack Freak Pictures". - Ein grelles Kaleidoskop der Farben und Formen, Medaillen, Abzeichen und natürlich der der variantenreichen Selbstdarstellung von Gilbert & George, die etwa die Zunge zeigen.
Zentrales Motiv der wandfüllenden Fotocollagen ist der Union Jack, die britische Nationalflagge. - Ob als Straßenbelag, Mandala oder Anzugsmuster wird der Union Jack zur Götze eines subversiven Mysterienspiels.
"Wir haben den Union Jack zurückerobert von unseren zwei Feinden. - Von den linken Intellektuellen einerseits, die den Union Jack als ein Symbol des Bösen verteufeln. - Von den extremen Rechten andererseits, die den Union Jack glorifizieren. Beide Parteien liegen falsch. Der Union Jack steht für Feierlichkeit. - Jede Nation, jede Person hat ihre Flagge", sagen Gilbert & George.
Kampf gegen kirchliche Macht
Immer wieder dominieren religiöse Motive die monströsen "Jack Freak Pictures", manche erinnern an die Rosetten mittelalterlicher Kirchenfenster. - Andere zeigen Jesus am Kreuz mit dem Union Jack um die Hüften geschlungen.
"Religion wurde wieder wichtiger. - In England sind die Zeitungen voll damit. Wir wollen nun mit den Priestern konkurrieren. Und deshalb interessieren wir uns auch für die Geschichte der Werbung. - Im Gegensatz zu früher ist heute genau vorgeschrieben, wie groß Werbebanner sein dürfen. Aber die Kirche ist davon ausgenommen. - Wir nennen das "unfaire Werbung" und fordern, dass Kirchen nicht größer sein dürfen als die durchschnittlichen Gebäude einer Stadt", erklären Gilbert & George.
"The London Pictures"
Neben ihrem Kampf gegen kirchliche Macht arbeiten Gilbert & George derzeit an ihrem bisher größten Werkzyklus mit dem Titel "The London Pictures". - Dieser soll 290 Einzelbilder umfassen.
"Diese basieren auf den Titelseiten englischer Zeitungen, die als Poster vergrößert an den Zeitungskiosken hängen. Das hat uns seit jeher beschäftigt, denn auf diesen Plakaten steht etwa: "Frau starb in U-Bahn Tragödie". Das ist eine billige Art und Weise, Zeitungen zu verkaufen. - Ein Geschäft mit dem unsäglichen menschlichen Leid, das sich in dieser Schlagzeile verbirgt. Wir wollen mit unserer Arbeit nun das Leben dieser Menschen feiern", sagen Gilbert & George.
Insgesamt rund 4000 Titelseiten-Poster haben Gilbert & George, Chronisten des Großstadtlebens, in den letzten Jahren gesammelt.
"Wir arbeiten mehr als je zuvor. - Total wahnsinnig. - Und wir sind sehr aufgeregt. - Seit fünf Jahren arbeiten wir an diesem neuen Zyklus. - Im Februar sollten wir fertig sein", hoffen Gilbert & George.