Die Pläne zum EU-Ratsvorsitz

Kulturnation Polen

Am 1. Juli übernimmt Polen für sechs Monate von Ungarn den EU-Ratsvorsitz. Das Land will sich auch verstärkt als Kulturnation präsentieren. Fünf polnische Städte sind derzeit auch im Rennen um den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2016, die Entscheidung fällt am 23. Juni. Ein Stimmungsbericht aus Warschau.

Kultur aktuell, 20.06.2011

Kurz vor Mitternacht hat sich eine Gruppe vor dem Warschauer Präsidentenpalast versammelt. Gebete und Segnungen, megaphonverstärkt, Kreuze, Blumen und Kerzen, ein Porträt des verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski - man gedenkt der Toten vom Flugzeugabsturz bei Smolensk. Regelmäßig findet dieses gespenstische Szenario statt, erklärt der Autor und Übersetzer Jacek Buras.

"Das ist jetzt genug. Sie sind Verstorbene - nicht Gefallene, wie die anderen es nennen. Man hat sie schon genug geehrt. Ein ziemlich lauter Teil der Gesellschaft spielt eine beunruhigende Rolle", so Buras.

Polen als Opfervolk

Raus aus der Opferrolle, empfiehlt Jacek Buras seinen Landsleuten und er findet damit nur wenig Gehör. Die Polen als Opfervolk - eindrucksvoll inszeniert wird diese Rolle etwa im modernsten Museum des Landes, gegründet vom damaligen Oberbürgermeister und späteren Staatspräsidenten Lech Kaczynski, im Museum des Warschauer Aufstands. Multimedial werden da die Verbrechen und SS und Wehrmacht und die Leider der Bevölkerung bei der Niederschlagung des Aufstands dargestellt.

"Wir wollen die patriotischen Tugenden der Polen darstellen und damit den Patriotismus in der polnischen Gesellschaft heute stärken", sagt Vizedirektor Pawel Ukielski. "Und unsere Geschichte kann nicht ohne Emotionen erzählt werden."

Epizentrum des Patriotismus

Fliegerbombenlärm, Leichengeruch, Ruinen, und unterirdische Kanäle - ein Reality-Museum als Epizentrum des Patriotismus, das seine Wirkung nicht verfehlt.

"Ich war dort mit der kleinen Tochter eines Freundes und sie hat die Deutschen als die Bösen gesehen. Das war ein klares Bild von ihr. Sie hatte sogar Angst", erinnert sich die Politologin Katharina Arnold.

Polnische Folklore

Katharina Arnold arbeitet im Vorbereitungskomitee für die Kulturhauptstadt Warschau 2016. Katholizismus, Nationalismus, Patriotismus - das ist Teil der polnischen Folklore, meint sie - die junge Kulturszene kümmert das wenig.

"Polen soll mit moderner Kunst assoziiert werden", heißt es auch von Seiten des polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski. Und dafür wird auch einiges getan. Eine ganze Reihe von Kulturbauten ist in landesweit in Planung - in Danzig, Breslau und vor allem in Warschau, das auf den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2016 hofft. Ein neues Museum für die Geschichte der polnischen Juden ist bereits im Bau, geplant sind ein Museum der Geschichte Polens, ein Kunstmuseum und ein Konzerthaus.

Probleme und Traumata

"Wenn Warschau eine wichtige Rolle in Europa übernehmen will, dann muss es uns klar sein: Wir müssen aufhören, uns auf unsere Probleme und Traumata zu konzentrieren", meint der Architekt Grzegorz Piatek. "Wir müssen in die Zukunft schauen und wenn wir uns nur mit der Vergangenheit beschäftigen, dann kann das nur um der Zukunft willen passieren. Die Kultur wird uns helfen offener und toleranter zu werden."

Ob Warschau tatsächlich Kulturhauptstadt wird, das wird am 23. Juni 2011 entschieden.

Service

Mehr zur aktuellen Kulturszene in Polen können Sie ab heute in einem dreiteiligen Programmschwerpunkt im Ö1 Kulturjournal um 17:09 Uhr hören.

Muzeum Powstania Warszawskiego

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