Anklage vor dem Aus?

Strauss-Kahn: Zeugin im Zwielicht

An der Glaubwürdigkeit des Zimmermädchens, das dem früheren Währungsfonds-Chef Strauss-Kahn einen Vergewaltigungsversuch vorwirft, gibt es nach Angaben der "New York Times" erhebliche Zweifel. Die Zeitung berichtet, dass die Staatsanwälte das Vertrauen in ihre wichtigste Zeugin verloren hätten. Der ganze Fall sei "am Rande des Zusammenbruchs".

Die 32-Jährige Zeugin soll bei den Verhören gelogen haben und in Geldwäsche und Drogenhandel verwickelt sein. Strauss-Kahn ist heute kurzfristig vor Gericht geladen.

Mittagsjournal, 01.07.2011

Nicht mehr glaubwürdig

Die Fotos von der Festnahme Dominique Strauss-Kahns sind um die Welt gegangen, der mächtige Mann aus der Finanzwelt, der Hoffnungsträger der französischen Sozialisten für die Präsidentenwahl als angeblicher Vergewaltiger. Der Versuch des Franzosen, den Tatort New York fluchtartig zu verlassen, seine unterschiedlichen Aussagen: er war gar nicht im Hotel, kein Sex mit dem Zimmermädchen, doch Sex aber einvernehmlich - haben gereicht, um den 62-Jährigen für schuldig zu halten. Und jetzt - alles anders? Zumindest hält die Staatsanwaltschaft das mutmaßliche Vergewaltigungsopfer, die aus Guinea stammende Hotelangestellte, offenbar nicht mehr für glaubwürdig. Das berichtet die New York Times ziemlich detailreich. In wenigen Stunden wird der Angeklagte vor dem New Yorker Gericht erscheinen.

Folgenschwere Untersuchungen

Die Staatsanwaltschaft in New York macht heute einen ungewöhnlichen Schritt - nicht ganz freiwillig, wie man vermuten darf. Sie wird heute, bei einem überraschend verlangten Gerichtstermin vermutlich beantragen, die Bedingungen des Hausarrests für Dominik Strauss-Kahn zu erleichtern. Der Grund: das mutmaßliche Opfer der versuchten Vergewaltigung, das gleichzeitig die Hauptzeugin in einem Gerichtsverfahren wäre, jenes 32jährige Zimmermädchen also, hat nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem. Zwar wollten weder Staatsanwaltschaft noch Verteidigung zu der überraschenden Entwicklung vor dem Gerichtstermin Stellung nehmen, Recherchen der renommierten und üblicherweise gut informierten Zeitung New York Times haben aber folgenschweres zu Tage gebracht.

Zu viele Lügen

Um es gleich vorweg zu nehmen: die Staatsanwaltschaft glaubt laut anonymen Quellen der New York Times nach wie vor, dass Dominik Strauss-Kahn die Hotelangestellte zu vergewaltigen versuchte.

Weil das aus Guinea eingewanderte Zimmermädchen aber während der Befragungen mehrfach über ihre Vergangenheit und über ihre Verbindungen zu Drogendealern und Geldwäschern sowie über ihren Asylantrag gelogen haben soll, wird es schwierig - wenn nicht unmöglich - sie in einem Gerichtsverfahren als Zeugin aufzurufen. Trotz aller Beweise, wie der Spermaspuren von Strauss-Kahn an ihrer Kleidung. Die Verteidigung könnte sich nämlich das Glaubwürdigkeitsproblem zu Nutze machen um auch erhebliche Zweifel an ihrer Aussage bezüglich der Vergewaltigungsvorwürfe zu säen, und einen Freispruch für Strauss-Kahn erreichen.

Glaubwürdigkeit erschüttert

Was lässt nun selbst die Staatsanwaltschaft an der Glaubwürdigkeit der Kronzeugin zweifeln? Zum einen ein Telefonat, dass sie am Tag nach den Ereignissen im Sofitel New York mit einem überführten Drogendealer geführt hat, der im Gefängnis sitzt. Sie soll mit ihm über die Vorteile diskutiert haben, wenn sie den Fall vorantreibt. Dieses Telefongespräch wurde von den Behörden routinemäßig aufgezeichnet. Der Dealer ist eine von mehreren Personen, die ihr in den letzten zwei Jahren insgesamt 100.000 Dollar in bar auf ein Konto gezahlt haben soll. Sie sagte gegenüber der Staatsanwaltschaft, sie wisse nichts davon, die Einzahlungen seien von ihrem Verlobten und dessen Freunden. Zum anderen, weil sie laut anonymen New York Times Quellen auch in Bezug auf ihren Asylantrag die Unwahrheit gesagt hat.

Ungereimtheiten im Asylgesuch

Sie sei in ihrer Heimat Guinea vergewaltigt worden und habe Genitalverstümmelungen über sich ergehen lassen müssen, erklärte sie der Staatsanwaltschaft. Das stehe im Asylgesuch. Dort entdeckten die Ermittler offenbar anderes. Das alles betrifft, wie gesagt, nicht die angeblich versuchte Vergewaltigung im Sofitel - es macht aber möglicherweise ein Gerichtverfahren für die Anklage unmöglich. Was wirklich am 14. Mai in dem Hotelzimmer passiert ist, wissen ohnedies nur zwei Personen.

Auch Strauss-Kahn hat gelogen

Wenn jetzt die Glaubwürdigkeit des Zimmermädchens in Zweifel gezogen wird, muss man auch erwähnen, dass Dominik Strauss-Kahn ebenfalls gelogen hat. Anfangs leugnete er jeden sexuellen Kontakt, erst als man Spermaspuren von ihm an der Kleidung des mutmaßlichen Opfers nachwies, änderte er seine Aussage auf einvernehmlichen Sex. Der Fall hat ihn jedenfalls seinen Direktorenposten im Internationalen Währungsfonds gekostet. Bis heute galt auch seine politische Karriere als beendet. Er war nämlich bis zu den Vergewaltigungsvorwürfen ein erfolgversprechender Kandidat der französischen Sozialisten für die Präsidentenwahl im nächsten Jahr.

Frankreichs Sozialisten mit neuer Hoffnung

Die mögliche Wende im Strafverfahren gegen Dominique Strauss-Kahn nährt bei Frankreichs oppositionellen Sozialisten Hoffnungen auf ein politisches Comeback des ehemaligen IWF-Chefs. Es sei zu wünschen, dass Strauss-Kahn bald auf freien Fuß komme, dann werde er in den kommenden Monaten "im politischen Leben unverzichtbar" sein, sagte der sozialistische Abgeordnete Jean-Marie Le Guen, ein Vertrauter Strauss-Kahns, am Freitag im Radiosender France Info. Für den früheren Kulturminister Jack Lang wäre Strauss-Kahns Anwesenheit "entscheidend für unseren Erfolg bei der Präsidentschaftswahl" im kommenden Jahr.

Die französische Sozialistenchefin Martine Aubry äußerte die Hoffnung, dass die US-Justiz "ab heute Abend die ganze Wahrheit etablieren" werde, damit Strauss-Kahn aus "diesem Albtraum herauskommen" könne.

Mittagsjournal, 01.07.2011

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