Krimi von James Sallis
Der Killer stirbt
Der US-Amerikaner James Sallis, Krimiautor, Literaturwissenschaftler und Übersetzer, ist schon so etwas wie ein "alter Bekannter", um nicht zu sagen: eine "amtsbekannte Figur" in den "Ex-libris"-Krimi-Reihen.
8. April 2017, 21:58
Sallis steht für die Weiterentwicklung des sogenannten "Noir-Genres", zu dessen frühen literarischen Meistern James M. Cain und Jim Thompson gehörten; ein Genre, das auch immer wieder Berührungspunkte mit den "hard-boiled"-Krimis der alten Schule von Raymond Chandler und Dashiell Hammett aufweist. Und gerade in der Verknüpfung prägender Elemente beider Spielarten besteht das große Verdienst von James Sallis.
Der Buchhalter
Nicht anders ist es auch in seinem neuen, zeitgleich in den USA und im deutschen Sprachraum erschienenen Roman "Der Killer stirbt" - wobei hier die "noir", also die schwarzen und existenzialistischen Momente deutlich überwiegen.
Der "plot", der Handlungsfaden, ist ebenso einfach wie skurril: Ein gealterter Profikiller, Veteran des Vietnam-Krieges, wird für einen Mordauftrag angeheuert. Die Zielperson ist ein Buchhalter in Phoenix, Arizona. Bevor der Profi zur Tat schreiten kann, wird dieser Buchhalter von jemand anderem niedergeschossen und schwer verletzt.
Ab jetzt beginnen die Fragen, die den Auftragskiller und auch die ermittelnden Polizisten beschäftigen: Wer war der Täter, und wer ist eigentlich die Zielperson, dieser "nichtssagende Buchhalter in einer bedeutungslosen Steuerberaterfirma in einer grauen, gesichtslosen Stadt."?
Wer jetzt auf eine Mafia-Geschichte tippt, liegt - das darf vorneweg verraten werden - falsch. Dem Autor geht es hier weniger um eine Verbrechens- als um eine Lebensgeschichte. Der Profikiller ist nicht nur gealtert, er ist auch todkrank, und mit Sicherheit wäre das hier sein letzter Auftrag gewesen.
Erinnerungen und Tatsachen
James Sallis nutzt die vertrackte Situation, um mit einem gefinkelt zusammengesetzten Personal und einer Vielzahl an stilistischen Mitteln eine literarische Auseinandersetzung über die sogenannten "großen Dinge des Lebens" zu führen: Individuum, Gesellschaft und Tod.
Da gibt es einen Buben, der von seinen Eltern verlassen worden ist, der mehr oder minder als sogenanntes "U-Boot" lebt und sich mit einem Versandhandel im Internet über Wasser hält. Übers Internet hat auch die Hauptfigur, der Killer, in den letzten Jahren seine Aufträge erhalten. Da werden apokalyptische Visionen übers Netz verbreitet, wird Zivilisationskritik betrieben, und dann gibt es da auch noch zwei scheinbar bodenständige Polizisten, von denen zumindest einer ein veritables privates Problem hat. Ja, und am Ende wäre da noch jener Unbekannte, der die Zielperson des Mordauftrags, den Buchhalter, zuvor niedergeschossen hat.
Knappe Schilderungen wechseln in diesem Buch mit Traumsequenzen, Erinnerungen werden von Tatbeständen abgelöst, zur gehörigen Portion Realismus kommen surrealistische Interventionen. Das alles klingt hochkompliziert, und das ist es auch.
Zitat von einem der Cops: "Je länger man die Dinge betrachtete, je tiefer man bohrte, umso komplizierter wurde es. Wie konnte jemals jemand so töricht sein zu glauben, er verstünde irgendetwas?"
Mehr Kafka als Krimi
Vielleicht ist Sallis' neuer Roman - verglichen mit seinen früheren - mehr Kafka als Krimi, um es salopp auszudrücken. Aber, wer sich darauf einlässt, hat eines der überraschendsten Stücke Kriminalliteratur der letzten Zeit gelesen. Der Schluss, der ebenso zwangsläufig wie unerwartet ausfällt, wird selbstverständlich nicht bekannt gegeben. Eines lässt sich allerdings schon sagen: Mehr als die voyeuristische Erregung über die einzelne Kriminaltat zählt hier die stille Erkenntnis der menschlichen Verfasstheit in all ihren Schattierungen.
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James Sallis, "Der Killer stirbt", aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Bürger und Kathrin Bielfeldt, Verlag Liebeskind
Liebeskind Verlag