Paula McLains Roman einer Ehe

Madame Hemingway

Als erste "Mrs. Ernest Hemingway", wie es in den angelsächsischen Ländern heißt, geht Hadley Hemingway in die Literaturgeschichte ein. Oder wie man sie in Paris nennt: als "Madame Hemingway". Und so lautete auch der Titel von Paula McLains Roman, der in den USA schnell die Bestsellerlisten nach oben kletterte.

Das Porträt der Hadley Richardson, verheiratete Hemingway, ist das packende Panorama einer Beziehung, in der sich Kunst und Leben ständig in den Haaren liegen.

Paula McLains Roman springt mitten hinein in die aufgeladene Stimmung der Roaring Twenties, die Zeit des Aufbruchs nach dem Ersten Weltkrieg, des Tanzes auf dem Vulkan. Die Frauen feiern ihre neuen Freiheiten, während sich die Männer nur langsam vom Erlebnis der Schützengräben, Bomben und Lazarette befreien. Sie hätten erfahren, so F. Scott Fitzgerald, dass alle Götter tot seien, alle Kriege gekämpft, jeder Glaube an die Menschheit zerbrochen. Die "lost generation" driftet ratlos durch die Tage.

Tochter aus gutem Haus

Was soll man von einem wie ihm halten? Eigentlich ist er ein attraktiver Liebhaber und loyaler Freund, ein geradliniger Charakter ohne Allüren. Gleichzeitig ist er hart, egozentrisch und grausam, ein richtiger Mistkerl. Kann man mit so einem Typen leben? Oder macht man sich lieber schnellstens wieder aus dem Staub? Nach sechs Jahren Ehe, nach Untreue und einer Serie von Verletzungen, rettet sich Hadley Hemingway aus der Umklammerung ihres Mannes. Sie lässt sich scheiden.

Als Hadley Richardson, Tochter aus gutem Hause, Ernest Hemingway kennenlernt, ist er grade erst 21, also acht Jahre jünger als sie, und doch schon vom Leben gebeutelt. Ein paar Monate später sind die beiden verheiratet. Hadley ahnt nur vage, auf wen sie sich da eingelassen hat: auf einen gutaussehenden, äußerlich vor Kraft strotzenden jungen Mann, der doch zarter gebaut ist, als man denken würde. Die beiden ziehen nach Paris, in der Hoffnung, sich dort irgendwie durchzuschlagen. Hadley vertraut Ernest und seinen Ambitionen. Und er wiederum spürt, wie gut sie geerdet ist, wie klug und witzig.

Zu viele Partys, zu wenig Geld

Paris und die Côte d'Azur werden in jenen Jahren für viele Amerikaner zum Versprechen: weit weg von der starren Gesellschaftsordnung ihrer Heimat, von den abgelebten Traditionen und dem Unverständnis jener, die den Krieg im Lehnsessel vor dem Radioapparat erlebt haben. Gertrude Stein, Ezra Pound, F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway: Hier treffen sie aufeinander, ein Rudel junger Autoren, alle darauf aus, die amerikanische Literatur auf den Kopf zu stellen.

Sonntage auf der Rennbahn, Sommer im Süden, Partys ohne Ende, zu wenig Geld, zu viel Brandy und Absinth. Kennt man das nicht alles schon aus einer Vielzahl anderer Bücher und Filme? Paula McLain ist ziemlich mutig, sich nochmals auf einen Rahmen wie diesen zu stürzen. Doch sie geht es unaufgeregt an. Ihr Roman bleibt am Boden, lässt sich nicht wegtragen von der Beschreibung der aufgeheizten Stimmung jener Tage. Hadley ist eine redliche Person - und als Ich-Erzählerin lakonisch und trocken. Sie hat eine wirklich eigene Stimme.

Literatur als Rettungsanker

Ernest und Hadley gelten bald schon als Ausnahmeerscheinung. Die Paare um sie herum geben sich zwanglos. Treue, Zusammenhalt, Familie, das sind Werte, die man zu Hause zurückgelassen hat. Frankreich öffnet neue Türen, Experimente werden zur Herausforderung, nicht nur am Schreibtisch. Allein die Hemingways halten an ihren fast schon altmodischen Vorstellungen fest. Hadley, weil sie sich's nicht anders vorstellen mag, Ernest wohl auch, weil er spürt, wie verloren er ohne sie wäre.

Er könne nachts ohne Licht nicht einschlafen, hat er seiner Frau gleich zu Beginn der Ehe gestanden. Seit er von der italienisch-österreichischen Front heimkehrt ist, scheint er ein gebrochener Mann. Nun setzt er vollends auf die Literatur, um sich zu retten. Doch er bleibt verletzlich. Immer wieder zweifelt er an Hadleys Loyalität: Ob sie auf seiner Seite sei? Eine banale Frage wird zum Zankapfel. Die Welt jenseits seines Arbeitszimmers entwickelt sich zur Bedrohung. Und selbst das Kind, das Hadley erwartet, sieht er als Gegner - ein Eindringling und Störenfried.

Prominente Besetzung

Wie lebt es sich an der Seite eines Autors, der ganz nach oben will? Der nach vorne sprintet, ohne sich darum zu kümmern, wen er dabei umhechtet? Auch das ist Thema des Romans. Paula McLain bringt ein Stück Literaturgeschichte auf die Bühne. Und natürlich vertraut sie dabei einer prominenten Besetzung. Allen voran Ernest Hemingway in der Rolle des Künstlers als junger Mann: Paula McLain porträtiert die Zeit in Paris, das Intermezzo in Toronto, wo Sohn Jack geboren wird, die Rückkehr nach Frankreich, die beiden Winter in Schruns im Montafon, die Ausflüge nach Spanien, wo er dem Stierkampf verfällt.

In jenen Jahren entstehen Short-Storys und der Roman "Fiesta". Hemingway findet seinen Ton, eine reduzierte, schnörkellose, auch kalte Erzählweise, die so gar nicht in die ausladenden Salons seiner Heimat passt.

Paula McLain schreibt sich den Fakten entlang, ohne sich damit Fesseln anzulegen. Allein vier der 47 Kapitel wechseln die Perspektive und rücken Ernest ins Zentrum - Zäsuren, die den Blick wenden. Bei McLain sind die Rollen offen: Niemand ist nur gut oder nur schlecht. Das macht das Buch farbig, das rettet es auch vor Klischees.

Aufstehen und gehen

Die Ehe der Hemingways endet so schnell, wie sie begonnen hat. Ernest verliebt sich in Hadleys beste Freundin und sucht die beiden Frauen auf eine Menage-à-trois einzuschwören. Doch Hadley spielt nicht mit. Wenig später ist sie geschieden. Vielleicht, so hört man sie sagen, besteht jede Ehe ab einem gewissen Punkt aus dem Verrücken von Stühlen. Hadley steht auf und geht.

Paula McLains Buch versucht sich nicht am großen Denkmal. Das hätte Hadley auch gar nicht nötig. "Madame Hemingway" steht für sich - und das Buch über sie auf festen literarischen Beinen. Man folgt ihm gespannt.

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Paula McLain, "Madame Hemingway", aus dem Amerikanischen übersetzt von Yasemine Dincer, Aufbau Verlag

Aufbau Verlag - Madame Hemingway
Ernest Hemingway