Der "other race effect"

"Die sehen doch alle gleich aus"

Menschen können sich Gesichter von Angehörigen anderer ethnischer Gruppen weniger gut merken als von Vertretern der eigenen. US-Forscher haben nun die Hirnvorgänge, die diesem schon länger bekannten Phänomen zugrunde liegen, näher untersucht.

Das Phänomen nennt sich "other race effect" und spielt eine wichtige Rolle: Viele falsche Verurteilungen in den USA kommen durch Irrtümer von Augenzeugen zustande. Und wenn beispielsweise ein Weißer einen schwarzen oder asiatischen mutmaßlichen Täter identifizieren soll, erhöht sich die Fehlerquote nochmals. Grund genug also, mehr über die Biologie der Gesichtserkennung herauszufinden.

200 Millisekunden Hirnaktivität

Heather Lucas, Psychologin an der Northwestern University bei Chicago, untersuchte mit einem Elektroenzephalogramm die Hirnprozesse von Testpersonen, die Portraitfotos jeweils 2.5 Sekunden betrachteten. "Etwa 200 Millisekunden, nachdem wir ein Gesicht sehen, kann man Hirnaktivität registrieren, die bestimmt, ob wir uns das Gesicht merken oder nicht. Nach nur einem Fünftel einer Sekunde passiert also etwas."

Diese Hirnaktivität findet bei allen Gesichtern statt. Doch sie ist besonders intensiv, wenn beispielsweise ein Weißer ein weißes Gesicht sieht. Die Aktivität ist geringer, wenn der Weiße ein schwarzes Gesicht anschaut, an das er sich später erinnert; erinnert er sich nicht an das Gesicht, ist die Aktivität am schwächsten. Was passiert also bei 200-250 Millisekunden?

Heather Lucas glaubt, es ist der Prozess der so genannten Individuation. "Gesichter schauen an sich alle gleich aus: zwei Augen, eine Nase, ein Mund. Um sich ein Gesicht zu merken, muss man sich an Details halten, die das Gesicht einzigartig machen. So unterscheidet man das eine vom andern. Dieser Prozess dürfte beim Anblick von Gesichtern anderer ethnischer Gruppen nicht so gut funktionieren."

Biologie, vermutet Heather Lucas, dürfte jedoch nicht Schicksal sein. Zumindest aus Erfahrungswerten weiß man, dass Menschen in einem multikulturellen Umfeld imstande sind, eine bessere Unterscheidungsfähigkeit zu entwickeln.